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Insolvenzabhängige Lösungsklauseln (Jacoby, ZIP 2023, 2273)

Der IX. Zivilsenat hat mit seiner Entscheidung vom 27.10.2022 der regen Diskussion um die Zulässigkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln weitere Impulse verliehen. Völlig zurecht hat er das diesen Klauseln zugrunde liegende Wertungsproblem hervorgehoben. Der folgende Beitrag plädiert allerdings für einen strengeren Umgang mit solchen Klauseln. Einschlägige Grundlage dafür ist danach auch nicht § 119 InsO, sondern die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO sowie die AGB-Kontrolle nach §§ 307, 308 Nr. 3 BGB.

I. Einführung
II. Relevante Vertragsklauseln

1. Tatbestand der Klausel
2. Rechtsfolgen der Klausel
III. Gesetzliche insolvenzbedingte Lösungen
1. Anknüpfungen an die Insolvenz
2. Außerordentliche Kündigung
3. Freie Kündigungsmöglichkeiten
IV. Die Neuausrichtung durch den IX. Zivilsenat
1. Geldleistungsgläubiger
2. Sachleistungsgläubiger
2.1 Konkretisierung eines wichtigen Grundes
2.2 Risikoerhöhung durch Insolvenz (Zuverlässigkeit des Schuldners)
2.3 Privilegierung von Sanierungsvereinbarungen
3. Sonstige Aussagen
V. Grenzen des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts
1. Spezielle Regelungen
2. Zwingende Natur der §§ 103 ff. InsO (§ 119 InsO)
2.1 Sachlicher Anwendungsbereich: Verwalterwahlrecht
2.2 Zeitlicher Anwendungsbereich: Insolvenzeröffnung
2.3 Regelungsgegenstand von §§ 103–118 InsO
2.4 Starre Rechtsfolgen von §§ 103–118 InsO
3. Vorsatzanfechtung, § 133 Abs. 1 InsO
3.1 Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung
3.2 Einwände gegen die Lösung über § 133 Abs. 1 InsO
VI. AGB-Kontrolle als maßgebliche zivilrechtliche Grenze
1. AGB-Kontrolle von Lösungsklauseln
1.1 Leitbild des Lösungsgrundes
1.2 Leitbild der angemessenen Frist
2. Ausübungssperre des Vertragspartners nach § 242 BGB
VII. Ergebnisse in Thesen


I. Einführung

Das Insolvenz- und Restrukturierungsrecht verbietet an zwei Stellen ausdrücklich insolvenzbezogene Abreden. So erklärt § 44 Abs. 2 StaRUG Klauseln für unwirksam, die bestimmte vertragliche Rechtsfolgen an die Inanspruchnahme von Instrumenten des StaRUG knüpfen, § 225a Abs. 4 InsO enthält eine entsprechende Unwirksamkeitsanordnung für Klauseln, die sich auf gesellschaftsrechtliche Maßnahmen im Insolvenzplan beziehen. Beide Bestimmungen haben also einen engen Anwendungsbereich. Für die weitere Untersuchung fällt allerdings die gleiche Struktur beider Bestimmungen ins Auge: Das Gesetz ordnet zunächst in § 44 Abs. 1 StaRUG bzw. § 225a Abs. 4 Satz 1 und 2 InsO an, dass es an das jeweilige Ereignis bestimmte Rechtsfolgen nicht knüpft. Sodann wird verboten, entsprechende Rechtsfolgen durch Vertrag zu erzeugen.

An einer vergleichbaren ausdrücklichen Regelung fehlt es indessen im Hinblick auf die Wirkungen von Insolvenzantrag oder Insolvenzeröffnung. Insbesondere stellt § 119 InsO allein §§ 103 ff. InsO zwingend. Das in § 137 Abs. 2 RegE-InsO vorgeschlagene Verbot insolvenzabhängiger Lösungsklauseln ist nicht Gesetz geworden. Dies hat zu einer erheblichen Kontroverse über die Insolvenzfestigkeit von insolvenzabhängigen Lösungsklauseln geführt, die auch in divergierenden Entscheidungen von IX. und VII. Zivilsenat zum Ausdruck gekommen ist.

Anlass dieses Beitrags ist eine weitere Entscheidung des IX. Zivilsenats, die eine zwischen den bisherigen Positionen vermittelnde Linie einschlägt. Anhand welcher Wertungen der IX. Zivilsenat nunmehr über die Wirksamkeit von Lösungsklauseln auf Grundlage von § 119 InsO entscheiden will, wird unter IV gewürdigt. Vorher wird die Problematik näher entfaltet, indem unter II typische Lösungsklauseln vorgestellt und unter III die Aussagen des Gesetzes zu insolvenzbedingten Lösungen diskutiert werden. Auf dieser Grundlage werden dann die Grenzen für Lösungsklauseln sowohl aufgrund des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts unter V und dann des Zivilrechts unter VI bestimmt.

II. Relevante Vertragsklauseln
Versteht man den Begriff der insolvenzabhängigen Lösungsklausel eng, handelt es sich um eine Abrede, die an den Tatbestand der Insolvenzeröffnung als Rechtsfolge knüpft, dass der andere Teil sich von dem Vertrag lösen kann. Die in der Praxis anzutreffenden Klauseln gehen indessen sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite deutlich darüber hinaus.

1. Tatbestand der Klausel
Das Charakteristikum dieser Klauseln besteht darin, nicht auf die vertragliche Leistungspflicht(verletzung), sondern auf die Verfassung des einen Vertragsteils abzustellen. Damit unterscheiden sich diese Klauseln von den meisten gesetzlichen Regelungen des Schuldrechts, die wie §§ 323 ff. BGB die Verletzung vertraglicher Pflichten voraussetzen.

Neben der Anknüpfung an die Insolvenzeröffnung selbst ist ebenso diejenige an einen Eigen- oder/und Fremdantrag auf Eröffnung eines solchen Verfahrens sowie die Abweisung eines Antrags mangels Masse gebräuchlich. Von Klauseln, die diese formellen Insolvenztatbestände voraussetzen, lassen sich diejenigen abgrenzen, die ihre Rechtsfolgen von den Insolvenzgründen der §§ 17-19 InsO und damit von materiellen Insolvenztatbeständen abhängig machen. Ob diese materiellen Voraussetzungen bei einem Vertragspartner erfüllt sind, ist für den anderen typischerweise allerdings viel schwieriger zu erkennen als bei den formellen.

Neue Anknüpfungsmöglichkeiten hat das StaRUG mit seinen Instrumenten geschaffen. Insoweit erklärt § 44 Abs. 2 StaRUG allerdings gerade solche Vertragsklauseln für unwirksam, die Lösungsrechte oder weitere näher bestimmte Rechtsfolgen an die Inanspruchnahme von StaRUG-Instrumenten knüpfen. Teils wird diese Rechtsfolge auch auf die drohende Zahlungsunfähigkeit als materielle Voraussetzung aller StaRUG-Maßnahmen erstreckt. Tatsächlich wird man unterscheiden müssen. Den Schutz des § 44 Abs. 2 StaRUG verdient nur ein Schuldner, der von Instrumenten nach dem StaRUG Gebrauch macht. Aus einer an die drohende Zahlungsunfähigkeit anknüpfenden Vertragsklausel können unbeschadet des § 44 StaRUG so lange Rechtsfolgen abgeleitet werden, wie StaRUG-Instrumente nicht in Anspruch genommen werden. Nach dieser Inanspruchnahme steht § 44 Abs. 2 StaRUG indessen auch der Berufung auf eine solche bloß materiell formulierte Klausel entgegen. Dafür spricht insbesondere Erwgr. 40 der RL 2019/1023, der gerade verbietet, dass Lösungsmöglichkeiten an „mit der Aussetzung [als Paradefall des StaRUG-Instruments] zusammenhängende Ereignisse“ geknüpft werden.

Von den Lösungsklauseln, die insolvenz- oder restrukturierungsbezogene Tatbestandsmerkmale beinhalten, sind solche abzugrenzen, die vielfach als insolvenzunabhängig bezeichnet werden, auch wenn sie mit einer Insolvenz zusammenfallen können, aber eben nicht müssen. Das ist zunächst die aus § 490 BGB bekannte erhebliche Vermögensverschlechterung. In diesem Kontext sind aber auch die Change of Control-Clauses ebenso zu nennen wie die Unternehmenseinstellung. Stärker an die Leistungspflicht und nicht an die Verfassung des Schuldners knüpft es indessen an, wenn man wie § 321 BGB auf die Leistungsgefährdung abstellt.

2. Rechtsfolgen der Klausel
Mit einem solchen Tatbestand können die Parteien ganz unterschiedliche Rechtsfolgen verknüpfen. Als wirkliche Lösung lässt sich die Rechtsfolge einordnen, wenn der Vertrag dann ohne weiteres oder auf Erklärung der nicht insolventen Vertragspartei wie durch Kündigung ex nunc beendet wird. Kaum einmal sehen entsprechende Klauseln eine Frist vor, in der die Kündigung...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.11.2023 14:09
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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