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EuGH GA: Wirksamkeit von Gerichtsstandsklauseln gegenüber Drittinhabern eines Konnossements

Natürlich ist es nicht ausgemacht, dass der EuGH dem Schlussantrag des irischen Generalanwalts Anthony Collins folgen wird. Doch auch unabhängig davon lohnt es sich, die Argumentationsketten dieses Gutachtens näher unter die Lupe zu nehmen. Es handelt sich um drei Klagen; allen liegt im Kern der gleiche Sachverhalt zugrunde: Wegen teilweisen Verlustes der Fracht auf dem Seeweg waren Schadensersatzklagen anhängig. Dabei stellte sich jeweils die Frage, ob denn einem Dritterwerber der Ansprüche aus dem Konnossement die dort vereinbarte Gerichtsstandsklausel in wirksamer Weise entgegengehalten werden kann. Es geht daher auch um die Beantwortung gleichlautender Vorlagefragen, welche hier beispielhaft im Rahmen der Rechtssache Maersk (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Collins v. 16.11.2023 – C-345/22) erörtert werden sollen.

Zwischen der Klägerin als Verfrachterin und einer Befrachterin war ein Seefrachtvertrag zu den üblichen Bedingungen der Incoterms 2010 CFR (cost and freight) abgeschlossen worden. Auf der Rückseite enthielt dieses Konnossement eine Gerichtsstandklausel, wonach englisches Recht, aber auch der „High Court of Justice (England and Wales)“ in London zuständig sein sollte. Alternativ war vorgesehen, dass die Klägerin – Maersk A/S – aber auch berechtigt sein sollte, den Befrachter an seinem Wohnsitzgericht zu verklagen. Eine spanische Gesellschaft, welche mit Fischen und Meeresfrüchten handelte, erwarb die Ware und war damit auch Drittinhaberin des zugrunde liegenden Konnossements. Allerdings kamen die Waren in Spanien am Bestimmungshafen in beschädigtem Zustand an.
Dies führte dazu, dass die Beklagte (Allianz) als Transportversichererversicherin in die Rechte der Käuferin eintrat und Klage vor einem spanischen Gericht auf Schadensersatz gegen Maersk A/S i.H.v. knapp 70.000 € erhob. Unter Berufung auf die erwähnte Gerichtsstandsklausel verteidigte sich Maersk A/S gegen diese Klage, hatte damit aber keinen Erfolg. Gegen dieses Urteil legte Maersk A/S Berufung ein, die sie darauf beschränkte, dass Art. 25 Brüssel Ia-VO – die Norm regelt die Voraussetzungen einer wirksamen Vereinbarung über die Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats – auch gegenüber einem Dritterwerber des Konnossements wirksam und dass insbesondere die gegenläufigen Bestimmungen des spanischen Rechts unionsrechtswidrig seien. Nach der Bestimmung von Art. 251 des spanischen Seeschifffahrtsgesetzes gelten Gerichtsstandklauseln in einem Konnossement nur dann gegenüber einem Dritterwerber, wenn dieser zustimmt. Aus der Rechtsregel des Art. 468 dieses Gesetzes folgt des Weiteren, dass die Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstands null und nichtig ist, soweit sie nicht im Einzelnen ausgehandelt worden war.
Die entscheidende Frage des vorlegenden Gerichts bezieht sich daher darauf, ob diese Sonderregeln des spanischen Rechts mit Art. 25 Brüssel Ia-VO vereinbar sind, sofern zuvor geklärt ist, dass diese Norm im Blick auf die Gerichtsstandsklausel einen wirksamen Drittbezug aufweist. Generalanwalt Collins unterstreicht, dass die im Konnossement formulierte Gerichtsstandsvereinbarung autonom auszulegen ist, aber keine Aussage darüber bereithält, wie denn diese Rechtswirkungen auf den Dritterwerber eines Konnossements zu beziehen sind (Rz. 36).
Ausgangspunkt für die dann durchzuführende Auslegung ist daher, dass es sich im Rahmen von Art. 25 Brüssel Ia-VO immer um eine „Vereinbarung“ handeln muss, also muss das erkennende Gericht stets prüfen, ob eine „Willenseinigung“ der Parteien gegeben ist (Rz. 37). Der Gutachter hebt dann hervor, dass ein Konnossement ein „übertragbares Wertpapier“ darstellt (Rz. 39), welches dem Eigentümer gestattet, „die Ladung während ihrer Beförderung an einen Erwerber zu veräußern“. Zur Folge hat dies, dass der Dritterwerber in die Rechte und Pflichten des Veräußerers eintritt. Daher – so räsoniert der Gutachter – steht die Rechtsprechung des Gerichtshofs auf dem Standpunkt, dass auch eine Gerichtsstandsklausel dem Drittinhaber eines Konnossements entgegengehalten werden kann (Rz. 44). Doch – und dieser Einwand ist entscheidend – ob aber der Dritte in alle Rechte und Pflichten des Konnossements eintritt, das ist eine Frage, welche nach nationalem Recht zu entscheiden ist. Dies ist hier das spanische Recht, welches – wie gezeigt – eine Gerichtsstandsklausel in einem Konnossement nur unter sehr engen Voraussetzungen als wirksam ansieht („ausgehandelt“).
Doch dabei bleibt der Gutachter nicht stehen. Er analysiert im Folgenden vorangegangene Urteile des EuGH und hebt darauf ab, dass die Frage nach der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel i.S.d. Art. 25 Brüssel Ia-VO sich nicht auf deren Wirksamkeit gegenüber einem Dritten bezieht (Rz. 54). Denn in dieser Norm heißt es, es komme auf die (wirksame) Vereinbarung eines Gerichtsstandes an, „es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig“. Diese Ausnahmeregel wird jedoch nach Ansicht des Gutachters von Art. 25 Brüssel Ia-VO gar nicht adressiert. Vielmehr bezieht sich die Streitfrage nach der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel auf die Trivialfälle, dass nämlich diese Abrede wegen Irrtums oder Arglist oder wegen fehlender Vertretungsmacht und mangelnder Geschäftsfähigkeit angefochten werden kann (Rz. 55). Ergebnis: „Daraus folgt, dass die Wirkungen von Gerichtsstandsklauseln gegenüber Dritten nicht unter den Begriff der materiellen Nichtigkeit in Art. 25 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO fallen. Die Frage, ob eine Gerichtsstandsklausel wirksam ist, und die Frage, ob sie einem Dritten entgegengehalten werden kann, sind zwei verschiedene Paar Schuhe“ (Rz. 56).
Doch noch unbeantwortet im Rahmen dieser Deduktion ist die Frage, ob denn die dargestellten Sonderregeln des spanischen Seerechts, wonach u.a. eine Gerichtsstandklausel – London – nur dann wirksam ist, wenn sie „ausgehandelt“ wurde, mit den Vorgaben des Unionsrechts in Art. 25 Brüssel Ia-VO konform geht (Rz. 58 ff.). Hier macht der Gutachter wegen des Vorrangs des Unionsrechts kurzen Prozess und gelangt zu dem Resultat: „Art. 25 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen ein an einem Seefrachtvertrag zwischen einem Verfrachter und einem Befrachter nicht beteiligter Dritter, der das diesen Vertrag dokumentierende Konnossement erwirbt, in alle Rechte und Pflichten des Befrachters mit Ausnahme der im Konnossement enthaltenen Gerichtsstandklausel eintritt, die ihm gegenüber nur wirksam ist, wenn er sie einzeln und gesondert ausgehandelt hat“ (Schlussantrag 2).



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.11.2023 16:05
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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