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Die (Un-)Wirksamkeit börslicher und außerbörslicher Mistrade-Regeln (Huber, ZIP 2023, 2343)

Bei Geschäften insbesondere mit derivativen Wertpapieren – sowohl an der Börse als auch außerhalb davon – kommt es immer wieder vor, dass ein Geschäft zu einem unzutreffenden Kurs abgeschlossen und aus diesem Grund nachträglich wieder storniert wird. Dieser Beitrag sowie ein Folgebeitrag beleuchten die hiermit in Zusammenhang stehenden Rechtsfragen aus der Perspektive des (privaten Klein-)Anlegers.

I. Einführung
II. Anfechtungsrechte bei Mistrades – Das gesetzliche Leitbild

1. Voraussetzungen der Anfechtung
2. Anfechtungsfrist
III. Mistrade-Regeln und deren Wirksamkeit
1. Außerbörsliche Mistrade-Regeln
1.1 Rechtliche Grundlagen und Einordnung
1.1.1 Bilaterale Mistrade-Regeln im Verhältnis zu den Geschäftspartnern
1.1.2 Mistrade-Regeln multilateraler Handelsplattformen
1.2 Keine Sittenwidrigkeit
1.3 AGB-rechtliche Inhaltskontrolle
1.3.1 Prüfungsmaßstab
1.3.2 Berücksichtigung von Drittinteressen
1.3.3 Aufhebungsrechte und deren Ausweitung
1.3.4 Einseitige Mistrade-Regeln
1.3.5 Ausweitung der zeitlichen Grenzen
1.3.6 Nicht-Vereinbarung einer Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB
2. Mistrade-Regeln an der Börse und im Freiverkehr
2.1 Die Mistrade-Regeln der deutschen Börsen
2.2 Wirksamkeit, insbesondere Verfassungsmäßigkeit
2.2.1 Meinungsstand in der Literatur
2.2.2 Stellungnahme
2.2.3 Weitere Aspekte der Verfassungsmäßigkeit
2.2.4 Wirksamkeit des Ausschlusses von Anfechtungsrechten und Schadensersatzansprüchen
2.2.5. Geltung unwirksamer Vorschriften in den Börsengeschäftsbedingungen als Gewohnheitsrecht oder kraft Gewohnheitsrechts?
3. Verhältnis zwischen den Anfechtungsvorschriften und den Mistrade-Regeln
IV. Zusammenfassung


I. Einführung

Unter einem „Mistrade“ versteht man den Abschluss eines Wertpapiergeschäftes zu einem nicht marktgerechten Preis. Mistrades treten am häufigsten im außerbörslichen Handel mit derivativen Finanzinstrumenten auf, kommen aber auch im börslichen Handel vor. Immer wieder landen prominente Fälle in der Presse. Dass Mistrades jenseits spektakulärer Fälle häufig vorkommen, zeigen die Mistrade-Listen der Börsen und zahlreiche Urteile. Allein der BGH hatte bislang vier Mal (unter Einschluss eines obiter dictum) über eine Mistrade-Konstellation zu entscheiden, zuletzt im Jahr 2020.

Eine typische Fallkonstellation bei einem Mistrade ist die folgende: Ein Anleger schließt als Kommittent über seine Bank als Kommissionärin ein börsliches oder außerbörsliches Geschäft über ein (häufig derivatives) Wertpapier zu einem vermeintlich unschlagbar günstigen Kurs ab. Am folgenden Tag storniert die Bank das Geschäft unter Berufung auf einen sog. Mistrade, der in dem Ausführungsgeschäft aufgetreten ist, das die Bank mit einem börslichen oder außerbörslichen Handelspartner abgeschlossen hat. Regelmäßig geht das Aufhebungsverlangen von dem Handelspartner (häufig zugleich der Emittent der Wertpapiere) aus, da ihm ein Fehler bei der Preisstellung unterlaufen ist.

Besonders ärgerlich ist es natürlich, wenn sich zwischenzeitlich eine andere günstige Gelegenheit zum Kauf oder Verkauf ergeben hätte, die im Vertrauen auf den Bestand des später stornierten Geschäfts nicht wahrgenommen wurde oder vielleicht auch gar nicht wahrgenommen werden konnte.

Hier stellen sich zahlreiche spannende Rechtsfragen, die in Rechtsprechung und Literatur bisher teilweise nur sporadisch diskutiert wurden:

  • Darf die Bank das Geschäft wieder stornieren, und falls ja, unter welchen Voraussetzungen?
  • Welche Regelungen bestehen hierzu im Verhältnis zwischen der Bank und ihrem börslichen oder außerbörslichen Handelspartner? Macht es dabei einen Unterschied, ob das Geschäft bilateral oder über eine multilaterale Handelsplattform mit einem außerbörslichen Handelspartner abgeschlossen wurde, oder aber über eine Wertpapierbörse oder den daran angeschlossenen Freiverkehr?
  • Wer haftet für eventuell aufgetretene Schäden? Wie ist die Höhe eines eventuellen Schadensersatzes zu berechnen?
  • Was sagen typische AGB zu diesen Fragestellungen, und halten diese Regelungen der AGB-Kontrolle stand? Wie verhält es sich diesbezüglich mit entsprechenden Vorschriften in den Regularien der Börsen?

Dieser erste Beitrag beschäftigt sich dabei damit, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Geschäfte unter Berufung auf einen „Mistrade“ wieder storniert werden dürfen. Fragen des Schadensersatzes und der Haftung werden Gegenstand eines Folgebeitrags sein.

Die Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte (SBW) sehen für die Ausführung von Kundenaufträgen zwei mögliche Ausführungswege vor: Die Ausführung im Wege der Kommission und die Ausführung im Wege eines Festpreisgeschäftes (d.h. eines Kaufvertrages). Welche Ausführungsform bei welcher Art von Wertpapiergeschäft zum Einsatz kommen soll, müssen die Kreditinstitute in Ausführungsgrundsätzen (§ 82 WpHG) festlegen, die Bestandteil der SBW sind (Nr. 2 SBW). Bereits vor dem Inkrafttreten des § 82 WpHG im Jahr 2007 (damals als § 33a WpHG) hatte der BGH im Jahr 2002 entschieden, dass bei Kundenaufträgen in der Regel ein Kommissionsgeschäft vorliegt. Die Ausführung im Wege der Kommission ist in der Bankpraxis die am häufigsten vorkommende Ausführungsform.

Nr. 3 Abs. 1 SBW regelt klarstellend, dass die Ausführungsgeschäfte den für den Wertpapierhandel geltenden Usancen, d.h. Rechtsvorschriften und AGB, sowie den AGB der Geschäftspartner der Bank unterliegen. Nach der hier vertretenen Auffassung werden diese nicht Bestandteil des Kommissionsvertrages, sondern...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.11.2023 14:15
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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