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Geniestreich der Kommission: Die Rechtsform des europäischen grenzübergreifenden Vereins (European Cross-Border Association - ECBA) (Wöffen, ZIP 2023, 2185)

Es ist selten, dass man beim Lesen europäischer Richtlinien Tränen in den Augen bekommt. Freudentränen noch dazu. Die Kommission hat am 5.9.2023 einen Vorschlag für eine Richtlinie für eine neue nationale Rechtsform des europäischen grenzübergreifenden Vereins „European Cross-Border Association“ (ECBA) vorgelegt. Unter Federführung der Generaldirektion Binnenmarkt (DG Growth), deren Sprache in dem Vorschlag deutlich herauszulesen ist, wurden die parlamentarischen Entwürfe nicht lediglich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Vielmehr handelt es sich um eine Neukonzeption mit innovativen Ideen, darunter eine Art Reisepass für Vereine (ECBA-Bescheinigung), welches die europaweite Identifizierung und grenzüberschreitende Tätigkeit der ECBAs ermöglichen wird.

I. Der Inhalt des Kommissionsvorschlags
1. Rechtsgrundlage und Erwägungsgründe
a) Art. 50 Niederlassungsfreiheit und Art. 114 AEUV Binnenmarkt
b) Erwägungsgründe
2. Allgemeine Bestimmungen (Kapitel 1, Art. 1–8)
a) Die Definition des ECBA
b) Das anwendbare Recht
c) Rechtsfähigkeit
d) Mindestinhalt der Satzung
e) Organe
f) Mitgliedschaft
3. Rechte und verbotene Einschränkungen (Kapitel 2 „Rights and prohibited restrictions“, Art. 9–15)
a) Gleichbehandlung mit nationalen Vereinen
b) Diskriminierungsverbot von Gründern, Mitgliedern und Organwaltern
c) Grundsatz der einmaligen Registrierung
d) Finanzierung
e) Europäische Grundfreiheiten
f) Verbot bestimmter nationaler Beschränkungen
4. Gründung und Registrierung (Kapitel 3, Art. 16–21)
a) Neugründung
b) Umwandlung
c) Registrierungsantrag
d) Registrierungsverfahren
e) Die Register
f) Die ECBA-Bescheinigung
5. Mobilität (Kapitel 4, Art. 22 und 23)
6. Auflösung (Kapitel 5, Art. 24–26)
7. Verwaltungszusammenarbeit (Kapitel 6, Art. 27–29)
8. Schlussbestimmungen (Kapitel 7, Art. 30–33)
II. Eine erste Bewertung der Richtlinie


I. Der Inhalt des Kommissionsvorschlags

Die Richtlinie umfasst neben dem Verweis auf die Rechtsgrundlage, einem einleitenden Memorandum und den Erwägungsgründen insgesamt 33 Artikel in sieben Kapiteln. Im Folgenden werden die wichtigsten Regelungen zusammengefasst, darunter die Definition des ECBA, der Gleichbehandlungsgrundsatz mit nationalen Vereinsrechtsformen, die Gründung und Registrierung, die ECBA-Bescheinigung sowie die Verlegung des Satzungssitzes sowie die Auflösung. Einige kritische Anmerkungen und weiterführende Hinweise finden sich in den Fußnoten.

1. Rechtsgrundlage und Erwägungsgründe

a) Art. 50 Niederlassungsfreiheit und Art. 114 AEUV Binnenmarkt

Es handelt sich um den Vorschlag einer Richtlinie auf der Basis der Art. 50 und 114 AEUV. Anders als etwa bei der SE und EWIV, ist es kein Verordnungsvorschlag für eine supranationale Rechtsform auf der Basis von Art. 352 AEUV, welcher Einstimmigkeit erfordern würde. Richtlinien sind nach Art. 288 Abs. 3 AEUV für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen diesen aber die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung. Den Mitgliedstaaten wird aufgegeben, im nationalen Recht eine neue zusätzliche Rechtsform mit der Abkürzung „ECBA“ zu schaffen, die den Anforderungen der Richtlinie entspricht.

b) Erwägungsgründe
Wie bei Rechtsakten der Union üblich, sind dem Richtlinientext eine Vielzahl (51) von Erwägungsgründen (EW) vorangestellt. Darin wird u.a. (EW 3) auf die Entschließung des Parlaments vom 17.2.2022 verwiesen, die den ambitionierten Lagodinsky-Bericht enthielt.

Der Vorschlag für eine Richtlinie für die neue nationale Rechtsform des ECBA ist zudem ein Bestandteil eines Pakets weiterer Maßnahmen, zu denen u.a. ein Vorschlag für eine „Empfehlung des Rates zur Entwicklung der Rahmenbedingungen für die Sozialwirtschaft“ auf der Basis von Art. 288 Abs. 5 und Art. 292 AEUV gehört.

2. Allgemeine Bestimmungen (Kapitel 1, Art. 1–8)

a) Die Definition des ECBA

Das erste Kapitel enthält zunächst eine allgemeine Beschreibung des Regelungsgegenstands der Richtlinie (Art. 1) und Begriffsbestimmungen (Art. 2). Art. 3 ist sodann eine Vorschrift von zentraler Bedeutung. Sie enthält die Definition des europäischen grenzüberschreitenden Vereins („European Cross-Border Association“ ECBA). Danach muss jeder Mitgliedstaat in seinem Rechtssystem die Rechtsform des europäischen grenzübergreifenden Vereins (ECBA) einführen. Dabei handelt es sich um eine auf Mitgliedschaft beruhende juristische Person. Sie wird gegründet durch freiwillige Vereinbarung von natürlichen Personen, die Unionsbürger sind oder ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der EU haben, oder von juristischen Personen mit einem Non-Profit-Zweck und Sitz in der Union. Ausgenommen sind Gewerkschaften, politische Parteien, Religionsgemeinschaften und „Vereinigungen solcher Gemeinschaften“. Personen, die wegen Geldwäsche, damit zusammenhängender Vortaten oder Terrorismusfinanzierung verurteilt wurden, ist es ebenfalls verwehrt, ECBA zu gründen. Der ECBA unterliegt einem Gewinnausschüttungsverbot (Art. 3 Abs. 2). Weitere Voraussetzung ist, dass der ECBA Tätigkeiten in mindestens zwei Mitgliedstaaten ausübt oder in seiner Satzung zumindest das Ziel hat, Tätigkeiten in mindestens zwei Mitgliedstaaten auszuüben, und dass seine Gründungsmitglieder Verbindungen zu mindestens zwei Mitgliedstaaten haben, die bei natürlichen Personen auf der Staatsangehörigkeit oder dem rechtmäßigen Wohnsitz und bei juristischen Personen auf dem Ort ihres Satzungssitzes beruhen. Die Abkürzung „ECBA“ muss dem Namen voran- oder nachgestellt werden. Der Satzungssitz des ECBA muss sich innerhalb der Union befinden.

b) Das anwendbare Recht
In den durch die Richtlinie harmonisierten Bereichen müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der ECBA den zur Umsetzung dieser Richtlinie geschaffenen Regelungen des Mitgliedstaats unterliegt, in dem diese registriert (d.h. eingetragen) oder tätig ist (Art. 4 Abs. 1).

Für andere Angelegenheiten, die durch die Richtlinie nicht vorgegeben sind, wendet jeder Mitgliedstaat ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.10.2023 10:29
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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