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Das Zusammenrechnen der Beteiligungen bei koordinierter Kreditvergabe - Ein Beitrag zum System des Gesellschafterdarlehensrechts - Zugleich Besprechung von BGH, Urt. v. 26.1.2023 - IX ZR 85/21 , ZIP 2023, 705 (Weber, ZIP 2023, 2129)

In seiner Entscheidung vom 26.1.2023 hatte der BGH die Gelegenheit, sich gleich zu mehreren Fragen des Gesellschafterdarlehensrechts, genauer gesagt zu Fragen der Anfechtbarkeit der Besicherung von Gesellschafterdarlehen nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO, zu äußern. Unter anderem ging es um die Frage der Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs des § 39 Abs. 5 InsO bei koordiniertem Zusammenwirken mehrerer Gesellschafter. Die Argumentation des BGH wirft grundlegende Fragen zum System des Gesellschafterdarlehensrechts auf, denen in diesem Beitrag nachgegangen werden soll.

I. Einführung
II. Die Entscheidung des BGH v. 26.1.2023 – IX ZR 85/21
III. Die Systemwidrigkeit der Entscheidung des BGH

1. Die Ersetzung des Krisenmerkmals durch die Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO durch das MoMiG
2. Die Zweistufigkeit des Systems des Gesellschafterdarlehensrechts
a) Die gesellschafterdarlehensrechtliche Verstrickung als Voraussetzung der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO
b) Zwischenergebnis
3. Die Kleinbeteiligteneigenschaft als persönliches Merkmal im Rahmen der gesellschafterdarlehensrechtlichen Verstrickung
IV. Fazit


I. Einführung

Das Kleinbeteiligtenprivileg nimmt Forderungen von nicht geschäftsführenden Gesellschaftern, die mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt sind, aus dem Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO heraus. Eingeführt wurde das Kleinbeteiligtenprivileg durch das Gesetz zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen (KapAEG) vom 20.4.1998. Es beruht auf der Überlegung, dass der nur geringfügig Beteiligte typischerweise keine mitunternehmerische Verantwortung trägt und es ihm regelmäßig an einer Insiderstellung fehlt. Zudem sollte die Attraktivität der GmbH für die Zurverfügungstellung von Risikokapital gesteigert werden.

Ursprünglich war das Kleinbeteiligtenprivileg in § 32a Abs. 3 GmbHG a.F. geregelt. Im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 wurde es rechtsformneutral in § 39 Abs. 5 InsO überführt.

Bereits bei seiner Einführung war das Kleinbeteiligtenprivileg in der Literatur grundlegender Kritik ausgesetzt, die bis heute nicht verstummt ist. Anliegen des vorliegenden Beitrags ist allerdings nicht die Auseinandersetzung mit der Kritik am Kleinbeteiligtenprivileg. Denn selbst von den Kritikern wird darauf hingewiesen, dass die Rechtspraxis grundsätzlich an die gesetzliche Regelung gebunden ist. Der vorliegende Beitrag nimmt daher die Existenz des Kleinbeteiligtenprivilegs als gesetzgeberische Entscheidung hin und unternimmt den Versuch, dieses systematisch in das Recht der Gesellschafterdarlehen einzuordnen. Ausgangspunkt ist hierbei die Entscheidung des IX. Zivilsenats des BGH vom 26.1.2023, in welcher es u.a. um die Frage ging, unter welchen Voraussetzungen die Beteiligungen koordiniert handelnder Gesellschafter im Rahmen der Ermittlung der für die Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs maßgeblichen Beteiligungshöhe zusammenzurechnen sind.

II. Die Entscheidung des BGH v. 26.1.2023 – IX ZR 85/21
Für die Zwecke des vorliegenden Beitrags lässt sich der der Entscheidung des BGH zugrunde liegende Sachverhalt wie folgt – deutlich vereinfacht und leicht abgewandelt – darstellen:

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin I, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die I war Eigentümerin eines mit einem Güterverkehrszentrum („GVZ“) bebauten Grundstücks. Gesellschafter der I sind A mit einer Beteiligung von 50 %, B mit einer Beteiligung von 40 % und C mit einer Beteiligung von 10 %. Alleiniger Geschäftsführer der I ist W, der weder an A, B oder C beteiligt noch deren Geschäftsführer ist.

Im Zuge der Errichtung des GVZ schlossen A, B, C und I im Jahr 2010 einen notariellen Vertrag ab, in welchem sich A, B und C verpflichteten, der I die für die Finanzierung der Errichtung des GVZ erforderlichen Finanzmittel i.H.v. 3,8 Mio. € durch Gewährung von Darlehen bereitzustellen. Die Darlehensgewährung sollte durch A, B und C jeweils individuell und jeweils im Verhältnis zu ihrer Beteiligungshöhe an I erfolgen. Gleichzeitig wurde vereinbart, dass sich A, B und C zum Zweck der Besicherung ihrer jeweiligen Ansprüche aus den Darlehensgewährungen an I zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Beklagten, zusammenschließen und die I der Beklagten hierzu eine erstrangige Grundschuld über 3,8 Mio. € an dem mit dem GVZ zu bebauenden Grundstück bestellt. Zudem wurden Regelungen über einen internen Ausgleich zwischen A, B und C im Fall einer disquotalen Rückzahlung der Darlehen durch I getroffen. In der Folge wurden die Darlehen der I von A, B, und C wie vereinbart gewährt und die I bestellte zugunsten der Beklagten im Jahr 2012 die vereinbarte Grundschuld.

Am 15.12.2015 stellte I Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen, woraufhin das Insolvenzverfahren über das Vermögen der I eröffnet wurde. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens waren die von A, B und C der I gewährten Darlehen lediglich teilweise zurückgeführt. Mit der Klage verlangte der Kläger auf Grundlage der § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Abtretung der Grundschuld an sich.

Es stellte sich die Frage, ob dem Anfechtungsanspruch des Klägers in Bezug auf C das Kleinbeteiligtenprivileg des § 39 Abs. 5 InsO entgegensteht. Isoliert betrachtet waren dessen Voraussetzungen für C erfüllt. Wegen des koordinierten Zusammenwirkens von A, B und C bei der Finanzierung der I hat der BGH jedoch deren Beteiligungen zusammengerechnet und daher die Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs im vorliegenden Fall wegen Überschreitens des Schwellenwerts verneint.

In der Urteilsbegründung führt der BGH zunächst aus, dass nach der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des MoMiG eine im Einzelfall koordinierte Kreditvergabe ebenso wie ein koordiniertes Stehenlassen der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs entgegenstand, sofern dies...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.10.2023 16:17
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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