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Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz als Alternative zum Verbandsklagerecht? - Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes auf die Arbeitsrechtsdurchsetzung in Deutschland (Klein, ZIP 2023, 1053)

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erfasst – trotz seiner primär auf die Menschenrechtsdurchsetzung in transnationalen Geschäftsbeziehungen ausgerichteten Zielsetzung – auch reine Inlandssachverhalte. Vor diesem Hintergrund untersucht der Beitrag die bisher wenig beleuchteten Potentiale des Gesetzes für die Verbesserung der Arbeitsrechtsdurchsetzung in Deutschland. Im Ergebnis zeigen sich vor allem neue Möglichkeiten für die kollektive Arbeitsrechtsdurchsetzung sowie Anreize für die Verankerung wirksamer Compliance-Management-Systeme.

I. Einleitung
II. Überblick über die Regelungen des LkSG

1. Anwendungsbereich
a) Unmittelbare Anwendung kraft Gesetzes
b) Mittelbare Anwendung durch „contractual cascading“
2. Menschenrechtsbezogene Risiken und Pflichten
3. Sorgfaltspflichten
a) Lieferkette
b) Angemessenheitsvorbehalt
c) Kausalitätsvorbehalt
d) Implementierung eines Risikomanagements zur Einhaltung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten
aa) Identifikation von Risiken und Pflichtverletzungen in der Lieferkette und Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens
bb) Prävention
cc) Abhilfe
4. Behördliche Kontrolle und Durchsetzung
III. Neue Durchsetzungswege für das Arbeitsrecht
1. Überschneidungen zwischen LkSG und Arbeitsrecht
a) Arbeitsschutz
b) Koalitionsfreiheit
c) Gleichbehandlung
d) Mindestlohn
2. Parallele Geltung beider Regelungsregime
3. Arbeitsrechtsdurchsetzung nach den Vorschriften des LkSG
a) Private Durchsetzung durch Unternehmen
b) Durchsetzung durch das BAFA
4. Keine Begrenzung auf besonders schwerwiegende Verletzungen
IV. Fazit


I. Einleitung

Am 1.1.2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft getreten. Das Gesetz verfolgt das Ziel, die internationale Menschenrechtslage zu verbessern, indem es Anforderungen an ein verantwortliches Management von Lieferketten festlegt. Es ist zwar an Unternehmen in Deutschland adressiert (s. unter II 1 a), soll seine Wirkung aber in transnationalen Sachverhalten entfalten. Dabei basiert es auf der Prämisse, dass Unternehmen innerhalb ihrer Wertschöpfungsketten Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte tragen. Weil auf Grundlage freiwilliger Selbstverpflichtungen nur wenige Unternehmen dieser Verantwortung nachgekommen waren, hielt der Gesetzgeber es für erforderlich, rechtsverbindliche Anforderungen festzulegen. Mit den im Gesetz festgelegten Sorgfaltspflichten, die sich an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte orientieren, werden nun private Unternehmen in die Pflicht genommen, menschenrechtliche Risiken in ihrer Lieferkette zu identifizieren und Menschenrechtsverletzungen durch angemessene Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu verhindern, zu beenden oder wenigstens zu minimieren.

Die Gesetzesmaterialien erwecken den Eindruck, dass das Gesetz allein auf die Durchsetzung der Menschenrechte in transnationalen Sachverhalten zielt. Im Regelungskonzept spiegelt sich diese Beschränkung auf transnationale Geschäftsbeziehungen indes nicht wider. Die gesetzlichen Sorgfaltspflichten gelten nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut ebenso für das Handeln der Unternehmen und ihrer Zulieferer innerhalb Deutschlands (s. unter II 3 a). Erfasst werden folglich auch rein nationale Geschäftsbeziehungen, wie z.B. die Belieferung eines Einzelhandelskonzerns mit Obst oder Gemüse durch regionale Erzeuger. Vor diesem Hintergrund kann das Gesetz auch innerhalb Deutschlands die Durchsetzung der Menschenrechte stärken. Dies ist aus arbeitsrechtlicher Perspektive insbesondere deshalb interessant, weil die nach dem LkSG zu schützenden Menschenrechte Überschneidungen mit dem deutschen Arbeitsrecht aufweisen (näher unter II 2 und III 1). Die im LkSG angelegten Mechanismen zur Durchsetzung der Menschenrechte in transnationalen Lieferketten könnten daher in Deutschland zur Verbesserung der Arbeitsrechtsdurchsetzung beitragen und insbesondere für Gewerkschaften und Betriebsräte neue Möglichkeiten zur kollektiven Durchsetzung arbeitsrechtlicher Standards eröffnen. Somit könnte das LkSG gewissermaßen eine Alternative zu dem im deutschen Recht nicht vorgesehenen, aber rechtspolitisch immer wieder diskutierten Verbandsklagerecht bieten.

II. Überblick über die Regelungen des LkSG
Bevor näher auf die Auswirkungen des LkSG auf die Arbeitsrechtsdurchsetzung in Deutschland eingegangen werden kann, bedarf es zunächst eines Überblicks über den Anwendungsbereich, die Konzeption und den Regelungsgehalt des Gesetzes.

1. Anwendungsbereich

a) Unmittelbare Anwendung kraft Gesetzes

Das LkSG gilt seit dem 1.1.2023 für Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform, wenn sie ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben und (einschließlich evtl. ins Ausland entsandter Arbeitnehmer) in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LkSG). Darüber hinaus gilt es für ausländische Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform, wenn sie in Deutschland eine Zweigniederlassung i.S.v. § 13d HGB haben und in Deutschland in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 LkSG). Bei der Ermittlung der Schwellenwerte sind gem. § 1 Abs. 2 LkSG auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, vorausgesetzt deren Einsatzdauer im Unternehmen übersteigt sechs Monate. Maßgeblich ist dabei eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung, es kommt also allein darauf an, wie viele Arbeitsplätze im Unternehmen über eine Dauer von mehr als sechs Monaten mit (ggf. wechselnden) Leiharbeitnehmern besetzt waren. Innerhalb von verbundenen Unternehmen i.S.v. § 15 AktG werden der Obergesellschaft die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer (einschließlich der ins Ausland entsandten) aller konzernangehörigen Gesellschaften zugerechnet (§ 1 Abs. 3 LkSG).

Ab dem 1.1.2024 wird der Anwendungsbereich des Gesetzes erweitert. Ab diesem Zeitpunkt sinkt gem. § 1 Abs. 1 Satz 3 LkSG der für die Anwendung des Gesetzes maßgebliche Schwellenwert von 3.000 auf 1.000 Arbeitnehmer. Das Gesetz erfasst dann nach Schätzung der Bundesregierung über 2.800 Unternehmen.

b) Mittelbare Anwendung durch „contractual cascading“
Für Unternehmen, die in der Regel weniger als 1.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen, ergeben sich zwar unmittelbar aus dem LkSG keine Rechtspflichten. Tatsächlich können sich aufgrund direkter oder indirekter Geschäftsbeziehungen mit einem vom Anwendungsbereich erfassten Unternehmen aber auch für kleinere Unternehmen weitreichende Konsequenzen ergeben. Dies folgt insbesondere aus § 6 Abs. 4 Nr. 2 LkSG. Nach dieser Vorschrift müssen die vom Anwendungsbereich erfassten Unternehmen angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern verankern und sich...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.05.2023 11:04
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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