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BGH v. 20.4.2023 - I ZR 108/22

EuGH-Vorlage: Darf Desinfektionsmittel mit dem Begriff „Hautfreundlich“ beworben werden?

Sind "ähnliche Hinweise" i.S.v. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter "ähnliche Hinweise" alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen?

Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist eine bundesweit operierende Drogeriemarktkette. Sie hat ein Desinfektionsmittel mit der Bezeichnung "BioLYTHE" in ihren Filialen und - unter Abbildung des Produkts samt Etikett sowie mit weiteren textlichen Angaben einschließlich einer "Produktbeschreibung" - im Internet zum Verkauf angeboten. Das Produkt enthält Natriumhypochlorit (NaCIO) in einer Konzentration von 0,049 Gewichtsprozent. Dabei handelt es sich um ein Oxidationsmittel, das Sauerstoff abspaltet bzw. freisetzt, welches die Zellmembranen von Bakterien, Viren und Pilzen dahin beeinträchtigt, dass sie dem osmotischen Druck nicht mehr standhalten können. Das Etikett trägt unter der Produktbezeichnung die - auch in der Produktbeschreibung auf der Internetseite der Beklagten enthaltene - Angabe "Ökologisches Universal-Breitband Desinfektionsmittel" sowie unter dem Text "Haut-, Hände- und Oberflächendesinfektion" und "Wirksam gegen SARS-Corona" die Angaben "Hautfreundlich Bio ohne Alkohol".

Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. Sie war der Ansicht, die Werbung sei unlauter, weil die Beklagte damit Marktverhaltensregelungen der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-VO) zuwiderhandle. Die Abmahnung blieb erfolglos. Das LG hat der Unterlassungsklage stattgegeben. Das OLG hat das Urteil in im Berufungsverfahren teilweise abgeändert, als es den Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage "Hautfreundlich" abgewiesen hat. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Erfolg der Revision hänge demnach davon ab, wie der Begriff der in einer Werbung für Biozidprodukte verbotenen "ähnlichen Hinweise" i.S.d. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-VO) auszulegen sei.

Gründe:
Der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO stellt eine nach § 3a UWG unlautere und nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässige geschäftliche Handlung dar, die wegen der hier vorliegenden Wiederholungsgefahr einen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG begründen kann. Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO darf die Werbung für ein Biozidprodukt auf keinen Fall die Angaben "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthalten. Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG. Sie ist auch dazu bestimmt, das Marktverhalten der Unternehmer im Interesse der Verbraucher zu regeln.

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind "ähnliche Hinweise" i.S.v. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter "ähnliche Hinweise" alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen?

Diese Frage ist entscheidungserheblich, war noch nicht Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH und die richtige Auslegung des Unionsrechts ist nicht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urt. v. 6.10.2021 - C-561/19 - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi). Vor einer Entscheidung über die Revision war deshalb das Verfahren auszusetzen und gem. Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht
Martin Boden / Jan-Tilman Uhe / Alicja Wilczek, IPRB 2022, 102

Rechtsprechung:
Kein ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz wegen Übernahme wettbewerblicher Eigenschaften von Produkten des täglichen Bedarfs bei unterschiedlicher Produktbezeichnung ("Vienetta")
BGH vom 19.10.2000 - I ZR 225/98
Gustav-Adolf Ulrich, EWiR 2001, 333

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 12.05.2023 12:45
Quelle: BGH online

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