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Aktuell in der ZIP

Das Hinweisgeberschutzgesetz - die (un)endliche Geschichte (Lüneborg, ZIP 2023, 941)

Das Gesetzgebungsverfahren zur Schaffung eines deutschen Hinweisgeberschutzgesetzes darf ohne Übertreibung als „schwere Geburt“ bezeichnet werden. Und noch ist sie nicht überstanden. Der nachfolgende Beitrag zeigt auf, welche Entscheidungen betroffene Unternehmen mit Blick auf die Umsetzung des noch in 2023 zu erwartenden Gesetzes bereits jetzt treffen können oder vorbereiten sollten.

A. Einleitung
B. Wechselhafte Gesetzeshistorie

I. Ursprünglicher Vorsprung führt ins Hintertreffen
II. Stoppmarke des Bundesrats und verfassungsrechtlich bedenkliche Aufspaltung in zwei Gesetze
1. Zustimmungsverweigerung des Bundesrats
2. Aufspaltung in zwei Gesetze
3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit?
III. Befassung des Rechtsausschusses und entfallene Anschlussberatung im Bundestag
C. Kernaspekte des HinSchG-E für die Unternehmenspraxis
I. Entscheidungsleitbild: Incentivierung zur Ausübung des Wahlrechts zwischen interner und externer Meldung zugunsten der Nutzung des internen Meldekanals
II. Interne Lösung oder Auslagerung auf einen Dritten?
III. Konzernlösung
IV. Meldewege
V. Hinweisgeberschutz, geschützte Hinweisgeber, geschützte Meldeinhalte
VI. Anonyme Meldungen und Vertraulichkeit
VII. Hinweismanagement
1. Zuständigkeiten und Hinweisbearbeiter
2. Verfahrensvorgaben
VIII. Kommunikation zum Hinweisgebersystem
IX. Integrierte Meldekanäle
D. Zusammenfassung


A. Einleitung

Die Einrichtung von Hinweisgebersystemen war in Deutschland lange Zeit weitgehend freiwillig. Gleichwohl haben zahlreiche Unternehmen eine Whistleblower- oder Integritätshotline bzw. eine Ombudsstelle als integralen Bestandteil ihres Compliance-Management-Systems etabliert – mangels gesetzliche Leitschnur allenfalls orientiert an Branchenstandards. Bereits seit Ende 2019 ist klar, dass die EU-Hinweisgeberrichtlinie in nationales Recht umzusetzen ist und damit mittelfristig weitreichende gesetzliche Verpflichtungen zur Einrichtung und zum Betrieb von Meldeverfahren gelten werden. Doch der deutsche Gesetzgeber verweigert wieder und wieder vor den letzten Hindernissen, obwohl längst ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland läuft. Der nachfolgende Beitrag zeichnet zunächst dieses singulär holprige Stopp & Go nach (dazu B) und legt sodann dar, welche Entscheidungen in Bezug auf die künftig geltenden Anforderungen des Hinweisgeberschutzgesetzes Unternehmen bereits jetzt vorbereiten können, an welchen Stellschrauben Anpassungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren denkbar sind und welche Auswirkungen sich hieraus für die unternehmensinternen Prozesse ergeben dürften (dazu C).

B. Wechselhafte Gesetzeshistorie
Kaum ein jüngeres Gesetz hat eine ähnlich zähe und langwierige Geburt hinter sich, wie das HinSchG. Das ist unter zwei Gesichtspunkten besonders verwunderlich: Zum einen besteht jedenfalls hinsichtlich der Grundpfeiler eine europarechtlich determinierte Umsetzungspflicht. Zum anderen herrscht Einigkeit, dass Hinweisgeber der Gesellschaft bereits in vielen Fällen große Dienste erwiesen haben – man denke nur an die großen Finanzskandale der letzten Jahre wie Wirecard; Cum-ex und Panama-Papers – und daher besonderen Schutz genießen sollten.

I. Ursprünglicher Vorsprung führt ins Hintertreffen
Zunächst sah es ganz danach aus, als würde Deutschland beim Hinweisgeberschutz international eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen: Bereits in den Jahren 2011, 2012 und 2014 haben unterschiedliche Fraktionen die jeweilige Bundesregierung entweder zum Tätigwerden aufgefordert oder selbst Gesetzesentwürfe zum Hinweisgeberschutz vorgelegt. Am 11.10.2018 wurde ein im September 2018 von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgelegter Gesetzesentwurf intensiv im Bundestag beraten. Zu diesem Zeitpunkt war auch bereits der europäische Gesetzgeber auf das Thema fokussiert und in der Umsetzung dann doch stringenter: Am 16.12.2019 trat die am 23.10.2019 verabschiedete EU‑Richtlinie zum Hinweisgeberschutz („HinSch-RL“) in Kraft. Damals meinte man, die zweijährige Frist zur Umsetzung in nationales Recht sollte insbesondere für den bereits vielfach mit der Thematik befassten deutschen Gesetzgeber kein Problem darstellen. Im September 2021 stellte sich jedoch heraus, dass der Gesetzesvorschlag der damaligen Großen Koalition keine Mehrheit vor den Bundestagswahlen gefunden hatte. Hauptdiskussionspunkt war eine mögliche überschießende Umsetzung der HinSch-RL, insbesondere hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs. Somit lief am 17.12.2021 die Frist für die Umsetzung der HinSch-RL ab, ohne dass in Deutschland auch nur ein Gesetzesentwurf vorlag. Bereits im Januar 2022 versandte die EU-Kommission Aufforderungsschreiben an 24 Mitgliedstaaten wegen nicht fristgerechter Umsetzung der HinSch-RL, darunter an Deutschland, und leitete entsprechende Vertragsverletzungsverfahren ein. Am 13.4.2022 legte das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz sodann den Referentenentwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes („HinSchG-E“) vor. Trotz einer erklecklichen Anzahl von Stellungnahmen wurde bereits am 27.7.2022 ein inhaltlich nahezu unveränderter Regierungsentwurf veröffentlicht. Am 16.12.2022 beschloss der Bundestag das HinSchG-E auf Basis von Empfehlungen des Rechtsausschusses, die insbesondere im Hinblick auf anonyme Meldungen und Kommunikationspflichten von Unternehmen nochmals tiefgreifende Änderungen vorsahen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt haben Unternehmen verstärkt begonnen, sich auf die Umsetzung des Gesetzes vorzubereiten, in der Erwartung, dass es kurzfristig in dieser Form in Kraft treten würde.

II. Stoppmarke des Bundesrats und verfassungsrechtlich bedenkliche Aufspaltung in zwei Gesetze

1. Zustimmungsverweigerung des Bundesrats

Bekanntlich kam es erneut anders: Am 10.2.2023 verweigerte der Bundesrat dem Gesetz auf Betreiben der CDU-/CSU-geführten Länder die Zustimmung. Am 15.2.2023 verklagte die EU-Kommission Deutschland und nur mehr sieben weitere Mitgliedstaaten (Tschechien, Estland, Spanien, Italien, Luxemburg, Ungarn und Polen) vor dem Gerichtshof wegen nicht rechtzeitiger Umsetzung der HinSch-RL. Seitdem läuft eine zweimonatige Antwortfrist. Bemerkenswert ist, dass die Anzahl der säumigen Mitgliedstaaten binnen eines Jahres von 24 auf acht geschrumpft ist und ausgerechnet das bereits seit über einem Jahrzehnt auf einen gesetzlich gewährleisteten, verbesserten Hinweisgeberschutz fokussierte Deutschland zu diesen Nachzüglern zählt.

2. Aufspaltung in zwei Gesetze
In der Pressemitteilung des Bundestags vom 17.2.2023 zur Unterrichtung durch den Bundesrat, dass dem Gesetz nicht zugestimmt werde, heißt es: „Möglich ist nun die Anrufung des Vermittlungsausschusses.“. An dieser Stelle geschah die – noch nicht letzte – Volte: Entgegen der allgemeinen Erwartung verlangten zunächst weder der Bundesrat, der Bundestag noch die Bundesregierung die Einberufung eines Vermittlungsausschusses (vgl. Art. 77 Abs. 2 Satz 1und Art. 4 GG). Stattdessen haben die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP im zweiten Anlauf, der am 17.3.2023 im Bundestag debattiert wurde, das Vorhaben in zwei Gesetzentwürfe aufgespalten, von denen nach ihrer Auffassung nur einer von denen nach ihrer Auffassung nur einer der Zustimmung des Bundesrats nach Art. 74 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 27 GG bedarf. Der erste, neu eingebrachte Entwurf war weitgehend identisch mit dem am 16.12.2022 vom Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurf. Allerdings nahm er in seinem § 1 Abs. 3 ausdrücklich Beamte der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie Richterinnen und Richter im Landesdienst aus seinem Anwendungsbereich aus. Weiter war der sachliche Anwendungsbereich eingeschränkt: Nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG-E wurden nur Äußerungen von Beamtinnen und Beamten des Bundes erfasst, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen. Dadurch sollte nach Einschätzung der einbringenden Fraktionen keine Zustimmung des Bundesrats mehr erforderlich sein. In dem zweiten Gesetzesentwurf „zur Ergänzung der Regelungen zum Hinweisgeberschutz“ wurden diese Einschränkungen wieder aufgehoben.

3. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit?
Hintergrund der Aufspaltung war die vom BVerfG seit mehr als einem halben Jahrhundert vertretene sog. Einheitsthese: Selbst, wenn in einem Gesetzesentwurf nur eine einzige Regelung zustimmungspflichtig ist, wird dadurch das gesamte Gesetz zustimmungsbedürftig. Eine (jedenfalls anfängliche) Aufspaltung in ein Einspruchs- und ein Zustimmungsgesetz ist nicht vollkommen unüblich. Auch das BVerfG hat hierzu bereits verschiedentlich sein Placet erteilt, etwa bei Aufspaltung in einen materiell- und einen verfahrensrechtlichen Teil oder bei Aufteilung in einen arbeits- und sozialrechtlichen und einen straf- und strafverfahrensrechtlichen Teil. Allerdings hat das BVerfG klar aufgezeigt, dass die Aufteilungsmöglichkeit ihre Grenzen im Missbrauchs- und Willkürverbot findet. Eine Auffassung im Schrifttum senkt diesen Maßstab noch weiter ab und erachtet eine Aufteilung bereits dann für unzulässig, wenn durch sie eine gesetzliche Regelung, die nur als Sinneinheit geordnet werden kann, sachwidrig durchtrennt werde. Beide Maßstäbe führen im vorliegenden Fall indes zu demselben Ergebnis: Dem Fehlen eines hinreichenden sachlichen Grundes. Denn der einzige – und als solcher auch kommunizierte – Beweggrund für die Aufteilung ist die Umgehung der Zustimmungspflicht. Würde man diese aber bereits als sachlichen Grund anerkennen, wäre die vom BVerfG bemühte Willkür- und Missbrauchsverbotsgrenze gegenstandslos und die Frage nach der Zulässigkeit der Aufspaltung perplex. Zu Recht hat Prof. Dr.  Gregor Thüsing in seiner Eigenschaft als im Rechtsausschuss angehörter Sachverständiger auch darauf hingewiesen, dass das gewählte Verfahren „von Anfang an mit dem Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit bemakelt“ wäre und dem Bundestag daher geraten, sich dies „sehr gut zu überlegen“. Noch deutlicher wurde Prof. Dr.  Winfried Kluth, der speziell zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Aufspaltung vom Rechtsausschuss eingeschaltete Experte: Er kam zu dem Ergebnis, dass der vorliegende Fall der erste sein könnte, in dem das BVerfG unzulässige Willkür bezüglich der Aufspaltung in zwei Gesetze annehmen könnte. Durch die Aufspaltung drohe „eine inhaltlich divergierende Umsetzung der Richtlinie, für die es keine guten Gründe gibt“.

III. Befassung des Rechtsausschusses und entfallene Anschlussberatung im Bundestag
Die beiden Initiativen wurden im Anschluss an die Debatte zur weiteren Beratung an den Rechtsausschuss überwiesen. Dieser hat in seiner öffentlichen Sitzung am 27.3.2023 beide Entwürfe diskutiert und dabei insgesamt zehn Sachverständige aus Wissenschaft und Praxis angehört. Eine der zentralen Monita war die Aufteilung des einheitlichen Sachverhalts in zwei Gesetze. Bereits drei Tage danach, am 30.3.2023, sollte die zweite und dritte Beratung der beiden Gesetzesentwürfe und der Bericht des Rechtsausschusses im Bundestag stattfinden. Doch dieser Agendapunkt wurde – auf Betreiben des Ältestenrats – ebenso kurzfristig wie überraschend wieder von der Tagesordnung abgesetzt. Gespräche hätten gezeigt, dass eine „Einigung zumindest nicht unmöglich“ erscheine. Unabhängig von der Verpackung dürfte mit diesem Rückzieher zumindest das implizite Eingeständnis der Furcht vor der Verfassungswidrigkeit der getrennten siamesischen Zwillinge sein. Das Kabinett hat daraufhin am 5.4.2023 beschlossen, nun doch den Vermittlungsausschuss anzurufen. Wie es nun zeitlich und inhaltlich konkret weitergeht, ist – wieder einmal – offen. Das Einigungsprocedere wird – je nach Sichtweise – überschattet bzw. angetrieben werden durch das Damoklesschwert möglicher finanzieller Sanktionen im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens. Wesentliche Diskussionspunkte dürften der sachliche Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzes, dessen Umfang und der Umgang mit anonymen Meldungen sein.   ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.05.2023 09:56
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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