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BGH v. 26.1.2023 - IX ZR 85/21

Addition der Beteiligungen der an der Finanzierung beteiligten Gesellschafter am Haftkapital einer Gesellschaft

Eine Beteiligung am Haftkapital i.H.v. 10 % (und nicht von weniger als 10 %) steht der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs nicht entgegen; eine einschränkende Auslegung der Vorschriften über das Kleinbeteiligtenprivileg scheidet aus. Eine koordinierte Finanzierung durch mehrere Gesellschafter kann unabhängig von einer Krise der Gesellschaft und auch außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO dazu führen, dass die Beteiligungen der an der Finanzierung beteiligten Gesellschafter am Haftkapital der Gesellschaft zusammenzurechnen sind; maßgeblich ist, ob eine überschießende unternehmerische Verantwortung übernommen wird.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 15.12.2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. mbH (Schuldnerin). Die drei Streithelferinnen der Beklagten sind die Gesellschafterinnen der Schuldnerin. Am Stammkapital der Schuldnerin i.H.v. insgesamt 59.900 € ist die Streithelferin zu 1), eine Große Kreisstadt, mit 30.000 € (rd. 50 %) beteiligt, die Streithelferin zu 2) mit 5.990 € (10 %) und die Streithelferin zu 3) mit 23.910 € (rd. 40 %).

Die Schuldnerin plante die Errichtung einer Umschlaganlage für den kombinierten Schienen- und Straßenverkehr (sog. KV-Terminal). Die Kosten für die Errichtung waren auf etwa 3,8 Mio. € veranschlagt. Knapp 3 Mio. € waren durch einen der Sache nach nicht rückzahlbaren, aber unter Auflagen und Bedingungen stehenden Baukostenzuschuss des Eisenbahn-Bundesamts gedeckt, die restlichen 800.000 € wurden durch (Gesellschafter-)Darlehen der Streithelferinnen finanziert, die sich zudem i.H.v. insgesamt 3 Mio. € gegenüber dem Eisenbahn-Bundesamt verbürgten oder Bürgschaften Dritter stellten. Die Bürgschaften dienten zur Sicherung eines bei Verstoß gegen Auflagen und Bedingungen möglichen Anspruchs auf (teilweise) Rückzahlung des Baukostenzuschusses. Die Streithelferinnen erbrachten die erforderlichen Finanzierungsbeiträge (Darlehen und Bürgschaften) nach dem Verhältnis ihrer Beteiligungen an der Schuldnerin. Die gewährten Darlehen waren mit 4 % jährlich zu verzinsen, für die Bürgschaften schuldete die Schuldnerin Avalprovisionen i.H.v. 1 % jährlich auf die jeweilige Bürgschaftssumme.

Im Rahmen eines Konsortialverhältnisses verpflichteten sich die Streithelferinnen untereinander, die Darlehen und Bürgschaften zu erbringen und aufrechtzuerhalten. Sie bildeten die Beklagte, eine GbR, in deren Vermögen die Sicherheit für Darlehen und Bürgschaften eingebracht wurde. Bei der Sicherheit handelt es sich um eine verbriefte Eigentümergrundschuld i.H.v. 3,8 Mio. € am Betriebsgrundstück, welche die Schuldnerin der Beklagten am 10.8.2010 unter der aufschiebenden Bedingung ihrer Eintragung im Grundbuch abtrat. Die Eintragung der Grundschuld im Grundbuch erfolgte am 19.6.2012. Nach dem vereinbarten Sicherungszweck dient die Grundschuld "zur Sicherung aller gegenwärtigen und künftigen Forderungen", welche die Streithelferinnen in GbR oder jede für sich gegen die Schuldnerin aus Darlehen oder Bürgschaft haben. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin waren die Darlehen erst zum Teil getilgt, auch die Bürgschaften bestanden fort. Der Kläger verlangt Rückabtretung der Grundschuld und Zustimmung zur Herausgabe des vom Notar verwahrten Grundschuldbriefs.

LG und OLG gaben der Klage statt. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Im Ergebnis mit Recht hat das OLG erkannt, dass die Klägerin einen aus § 143 Abs. 1 InsO i.V.m. § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO folgenden Anspruch auf Rückabtretung der Grundschuld und Zustimmung zur Herausgabe des vom Notar verwahrten Grundschuldbriefs gegen die Beklagte hat.

Gem. § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Sicherung gewährt hat, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen für alle durch die Grundschuld besicherten Forderungen der Streithelferinnen gegen die Schuldnerin vor. Insbesondere handelt es sich sämtlich um Forderungen i.S.d. § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Auch die nach § 129 Abs. 1 InsO stets erforderliche objektive Gläubigerbenachteiligung ist anzunehmen. Das rechtfertigt den vom OLG angenommenen Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld.

Die Voraussetzungen des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind erfüllt. Mit Recht ist das OLG davon ausgegangen, dass die Klage vollumfänglich begründet ist, wenn die Sicherung eines jeden Anspruchs anfechtbar ist. Dies ist der Fall, auch hinsichtlich der Forderung der Streithelferin zu 2). Eine Beteiligung am Haftkapital i.H.v. 10 % (und nicht von weniger als 10 %) steht der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs nicht entgegen; eine einschränkende Auslegung der Vorschriften über das Kleinbeteiligtenprivileg scheidet aus. Eine koordinierte Finanzierung durch mehrere Gesellschafter kann unabhängig von einer Krise der Gesellschaft und auch außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO dazu führen, dass die Beteiligungen der an der Finanzierung beteiligten Gesellschafter am Haftkapital der Gesellschaft zusammenzurechnen sind; maßgeblich ist, ob eine überschießende unternehmerische Verantwortung übernommen wird.

Die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung, die für die Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder für eine gleichgestellte Forderung Sicherung gewährt hat, setzt nicht voraus, dass die Sicherung dem darlehensgewährenden Gesellschafter oder dem Gläubiger einer gleichgestellten Forderung gewährt wird. Bei dem Regressanspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft aus der Besicherung einer Verbindlichkeit der Gesellschaft gegenüber einem Dritten handelt es sich um eine Forderung, die einer Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens gleichgestellt ist; eine Sicherung des Regressanspruchs durch die Gesellschaft kann daher der Anfechtung unterliegen. Die Besicherung von Forderungen - hier Zinsen und Avalprovisionen -, die neben die Forderung auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder eine gleichgestellte Forderung treten, unterliegt der Anfechtung, wenn die Nebenforderungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offen sind oder erst nach diesem Zeitpunkt anfallen.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Gleichstellung von Darlehensforderungen aus unternehmerischer Tätigkeit eines Gesellschafters mit Gesellschafterdarlehen
OLG Düsseldorf vom 23.05.2022 - 12 U 42/21
GmbHR 2022, 919

Rechtsprechung:
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BGH vom 24.02.2022 - IX ZR 250/20
ZIP 2022, 654

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.03.2023 11:33
Quelle: BGH online

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