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Kapitalmarkt- vs. Gesellschaftsrecht: Der Disput zwischen XI. und II. Zivilsenat zur Prospekthaftung (Buck-Heeb/Dieckmann, ZIP 2023, 501)

Die seit 2018 ständige Rechtsprechung des XI. Zivilsenats, wonach die spezialgesetzliche die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung verdrängt, führt in der Konsequenz zu einer Reduktion des Anlegerschutzes. Insofern ruht die Hoffnung der Anleger auf der neuesten Rechtsprechung des II. Zivilsenats. Dieser widerspricht der Auffassung des XI. Zivilsenats. Auch wenn damit ein „Mehr an Anlegerschutz“ erreicht wird, verfangen die Argumente des II. Zivilsenats nicht.

Zugleich Besprechung von BGH, Urt. v. 25.10.2022 – II ZR 22/22 , ZIP 2023, 29

I. Einführung
1. Die Vorgeschichte
2. Der Streitfall
3. Begriffliche und inhaltliche Klarstellungen
3.1 Differenzierung zwischen echter und unechter Prospekthaftung i.w.S.
3.2 Differenzierung zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht
II. Zuständigkeit des II. oder des XI. Zivilsenats
1. Standpunkt des II. Zivilsenats
2. Bewertung
3. Zwischenergebnis
III. Die Prospekthaftung i.w.S. als „weitergehender Anspruch“?
1. Standpunkt des II. Zivilsenats
1.1 Wortlaut des § 47 Abs. 2 BörsG a.F.
1.2 Divergierender Haftungsgrund
2. Bewertung
2.1 Lediglich formal vorvertragliches Schuldverhältnis
2.2 Kapitalmarktrechtlicher Bezug und unechte Prospekthaftung i.w.S.
3. Zwischenergebnis
IV. Sachlicher Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung
1. Standpunkt des II. Zivilsenats
2. Bewertung
3. Zwischenergebnis
V. Persönlicher Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung
1. Standpunkt des II. Zivilsenats
2. Bewertung
2.1 Die Regierungsbegründung des AnSVG von 2004
2.2 Gegenschluss des XI. Zivilsenats
2.3 Schlussfolgerung
3. Zwischenergebnis
VI. Topos des Anlegerschutzes
1. Standpunkt des II. Zivilsenats
2. Bewertung
2.1 Das 3. FMFG von 1998: Begrenzung des Haftungsrisikos
2.2 Das AnSVG von 2004: Kontinuität mit dem 3. FMFG
2.3 Das AnSVG von 2004: Ausschlussfrist und Sonderverjährung
2.4 Das Vermögensanlagengesetz von 2012
3. Zwischenergebnis
VII. Fazit


I. Einführung

1. Die Vorgeschichte

In seiner Entscheidung vom 25.10.2022 geht der II. Zivilsenat überraschend in Opposition zum XI. Zivilsenat und vertritt die Ansicht, die spezialgesetzliche Prospekthaftung schließe in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung, die sich auf die Verwendung eines fehlerhaften Verkaufsprospekts als solche stützt (Prospekthaftung im weiteren Sinne, i.w.S.), nicht aus. Im Widerspruch dazu hatte der II. Zivilsenat zuvor mindestens ein Verfahren, in dem es um das Konkurrenzverhältnis der beiden Haftungsregime ging, zuständigkeitshalber an den XI. Zivilsenat abgegeben. Das erfolgte, obwohl die Anleger auch hier – ebenso wie in dem Verfahren vom 25.10.2022 – ihre Ansprüche ausschließlich auf die Prospekthaftung i.w.S. gestützt hatten. Somit verwundert es, dass der II. Zivilsenat für sich jetzt doch eine „primäre Zuständigkeit“ in Bezug auf die Prospekthaftung i.w.S. in Anspruch nimmt.

Das gilt umso mehr, als die Frage, ob die spezialgesetzliche Prospekthaftung die i.w.S. verdrängt, für die Entscheidung vom 25.10.2022 in der Sache keine Rolle spielte. Da der II. Zivilsenat einen Fehler des Verkaufsprospekts verneinte, waren von vornherein weder die spezialgesetzliche noch die Prospekthaftung i.w.S. einschlägig. Seine Gegenauffassung zur Vorrangrechtsprechung des XI. Zivilsenats hat der II. Zivilsenat daher in einem ausführlichen obiter dictum begründet.

2. Der Streitfall
Der II. und XI. Zivilsenat streiten nicht nur um dieselbe Rechtsfrage, vielmehr geht es sogar im Wesentlichen um denselben Sachverhalt. Anleger hatten Anteile an einer Schiffsgesellschaft erworben, die in der Rechtsform einer Publikums-KG organisiert war (Fondsgesellschaft). Nach dem Scheitern der Fondsgesellschaft machten die Anleger verschiedene Prospektfehler geltend und verlangten von den Altgesellschaftern Schadensersatz. Die (Schiffs-)Fondsanteile waren Vermögensanlagen i.S.d. § 8f Abs. 1 VerkProspG in der vom 1.7.2005 bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung (nachfolgend: a.F.), so dass deren öffentliches Angebot prospektpflichtig war. Die Emissionsprospekte, auf deren Grundlage die Anleger die (Kommandit-)Anteile an den Schiffsgesellschaften erworben hatten, waren daher Verkaufsprospekte i.S.d. § 8g Abs. 1 VerkProspG a.F. Als Anspruchsgrundlage bot sich deswegen zunächst die spezialgesetzliche Prospekthaftung des § 13 VerkProspG a.F., §§ 44–47 BörsG a.F. an.

Die geschädigten Anleger hatten jedoch entweder die Schiffsfondsanteile erst nach Ablauf des Erwerbszeitraum von sechs Monaten nach dem ersten öffentlichen Angebot im Inland gekauft (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG a.F., § 44 Abs. 1 BörsG
 a.F.) oder die Prospektfehler erst geltend gemacht, nachdem die kenntnisunabhängige Sonderverjährungsfrist des § 46 BörsG
 a.F. (i.V.m. § 13 VerkProspG a.F.) bereits abgelaufen war. Ansprüche der Anleger aus spezialgesetzlicher Prospekthaftung bestanden daher von vornherein nicht oder waren schon verjährt. Da der Erwerb der Fondsanteile jedoch durch Beitritt zur Anlagegesellschaft erfolgt war, hatten die betreffenden Anleger als beitretende Neugesellschafter mit den Altgesellschaftern einen Aufnahmevertrag geschlossen. Somit bestand zumindest formal im Vorfeld des Beitritts zur Fondsgesellschaft zwischen ihnen ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB).

Da der Verkaufsprospekt bei den Beitrittsverhandlungen Verwendung gefunden hatte, kam neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung eine Haftung der Altgesellschafter gem. § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB in Betracht. Der Vorteil dieser Prospekthaftung i.w.S. besteht darin, dass sie weder einen Erwerbszeitraum noch eine kenntnisunabhängige Sonderverjährungsfrist kennt. Zwar verjährt auch ein Anspruch aus Prospekthaftung i.w.S. in drei Jahren (§ 195 BGB), die Frist beginnt aber erst, wenn der Anleger vom Prospektfehler erfährt oder seine Unkenntnis davon auf grober Fahrlässigkeit beruht (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die Anleger haben daher bei einem fehlerhaften Verkaufsprospekt grds. nur dann einen Schadensersatzanspruch, wenn – mit dem II. Zivilsenat und entgegen dem XI. Zivilsenat – die spezialgesetzliche Prospekthaftung diejenige i.w.S. nicht außer Kraft setzt.

3. Begriffliche und inhaltliche Klarstellungen
Für die Überlegung, ob die spezialgesetzliche Prospekthaftung in ihrem Anwendungsbereich die Prospekthaftung i.w.S. verdrängt, sind zwei Gesichtspunkte entscheidend, die in der Debatte darum oftmals nicht ausreichend berücksichtigt werden.

3.1 Differenzierung zwischen echter und unechter Prospekthaftung i.w.S.
In der Diskussion wird häufig der Begriff der Prospekthaftung i.w.S. pauschal verwendet, was zu begrifflichen Missverständnissen führen kann. Stattdessen ist danach zu differenzieren, ob die Prospekthaftung auf einem konkreten, weil persönlichen Vertrauen des einzelnen Anlegers beruht (echte Prospekthaftung i.w.S.) oder lediglich...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.03.2023 09:00
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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