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EuG: Zugang Privater zu Dokumenten des Rates im laufenden Gesetzgebungsverfahren

In einem wohl über den Tag hinaus bedeutenden Urteil hat das EuG am 25.1.2023 (EuG v. 25.1.2023 – T-163/21) entschieden, dass ein Privater berechtigt ist, Zugang zu Dokumenten des Rates zu beanspruchen, welche als legislatorische Vorbereitung im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der RL 2013/34/EU (Bilanz-RL) von einer Arbeitsgruppe erstellt worden waren.

Gestützt auf die VO (EG) Nr. 1049/2001 betreffend den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001 L 145 S. 43) beantragte ein Herr Emilio De Capitani, dass ihm bestimmte Dokumente der Arbeitsgruppe Gesellschaftsrecht des Rates zugänglich gemacht werden sollen. Der Rat gab diesem Begehren teilweise statt, verweigerte aber die Herausgabe der übrigen Unterlagen mit der Begründung, dass durch deren Verbreitung der Entscheidungsprozess des Rates ernstlich beeinträchtigt werde (Art. 4 Abs. 3 der VO Nr. 1049/2001). Der Antragsteller ließ aber nicht locker, sondern wiederholte sein Ansinnen, worauf der Rat mit einem ablehnenden Beschluss reagierte.

Vor dem EuG stellte Herr De Capitani daher den Antrag, diesen Beschluss für nichtig zu erklären. Er unterstrich, dass dieser Beschluss ihn daran hindere, seine Rechte als europäischer Bürger in einer demokratischen Gesellschaft voll ausüben zu können. Nach Erhebung der Klage besann sich der Rat jedoch eines Besseren und übergab auch die restlichen Dokumente dem Antragsteller. Doch das Gericht befand, dass der Antragsteller gleichwohl ein Rechtsschutzbedürfnis habe, weil er nicht in der Lage gewesen sei, rechtzeitig „die Gesellschaft zu informieren und eine Diskussion auszulösen“ (Rz. 16). Denn zu dem Zeitpunkt der Übergabe der Dokumente an den Antragssteller war die Entscheidung des Rates im Rahmen des Trilog zur finalen Ausgestaltung der Bilanz-RL bereits gefallen, eine interinstitutionelle Einigung war erzielt worden.

In materiell-rechtlicher Sicht macht der Antragsteller nunmehr geltend, gem. Art. 15 Abs. 2 AEUV („Das Europäische Parlament tagt öffentlich“) und Art. 42 EuGRC („Zugang zu Dokumenten des Rates, des Parlaments und der Kommission“) stehe dem Rat „kein Ermessen“ zu, ob und welche Beratungsdokumente er einem Bürger überlässt, so dass ein Verweigerungsrecht schlicht ausgeschlossen sei. Doch die entscheidende Weichenstellung liegt hier in der Auslegung von Art. 4 Abs. 3 der VO Nr. 1049/2001. Danach kann die Herausgabe eines Dokuments, das für den internen Gebrauch erstellt wurde, verweigert werden, wenn dessen Verbreitung den Entscheidungsprozess des Organs „ernstlich beeinträchtigen“ würde, „es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse“.

Mit der Auslegung dieser Norm und den Erwägungen des Rates setzt sich das EuG in mehreren argumentativen Schritten auseinander. Doch gleich zu Beginn heißt es: „Der Rat hat jedoch keinen greifbaren Nachweis dafür geliefert, dass der Zugang zu den streitigen Dokumenten in Bezug auf das fragliche Gesetzgebungsverfahren für die loyale Zusammenarbeit, die sich die Mitgliedstaaten schulden, nachteilig gewesen wäre. Die behauptete Gefahr erscheint daher hypothetisch“ (Rz. 83). Indessen hatte der Rat auch geltend gemacht, seine Verweigerung der Herausgabe der begehrten Dokumente diene dazu zu verhindern, dass unangemessener Druck auf die politischen Entscheidungsträger ausgeübt werde (Rz. 84 f.). Dies erkennt das EuG im Grundsatz als ein durchaus legitimes Ziel an, um so den demokratischen Entscheidungsprozess zu schützen. Allerdings errichtet das Gericht an dieser Stelle eine sehr hohe Hürde. Wörtlich erklären nämlich die Richter: „Es ist erforderlich, dass das Vorliegen solchen Drucks von außen eindeutig erwiesen ist und dass der Nachweis erbracht wird, dass das Risiko, dass die zu treffende Entscheidung erheblich beeinträchtigt wird, wegen dieses Drucks von außen bei verständiger Betrachtung absehbar ist“ (Rz. 85).

Der Rat gibt sich jedoch nicht geschlagen. In einem letzten Versuch rechtfertigt er seine Verweigerung damit, dass es sich bei diesen Dokumenten einer Arbeitsgruppe des Rates um solche handelte, die nicht auf politischer Ebene erörtert worden seien, sondern nur auf der „technischen Ebene“, so dass deren Verbreitung in der politischen Öffentlichkeit nicht geboten gewesen sei. Doch auch dieser Einwand findet keine Gnade, sondern beflügelt die Richter nur zu einem recht mokanten Satz: Der „technische“ Charakter eines Dokuments „ist kein relevantes Kriterium“ für die zutreffende Auslegung von Art. 4 Abs. 3 der VO Nr. 1049/2001 (Rz. 95).

Fazit: Der Beschluss des Rates wird für nichtig erklärt; Herr De Capitani obsiegt auf der ganzen Linie.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.02.2023 10:04

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