Logo Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln

Aktuell in der ZIP

Klimahaftung und Compliance (Schirmer, ZIP 2023, 234)

Lange Zeit als Fantasieszenario abgetan, sehen sich Energieproduzenten und andere private (Groß-)Emittenten mittlerweile etlichen Klimahaftungsklagen ausgesetzt. Wo eine unternehmerische Außenhaftung in Rede steht, ist aber auch ein Binnenregress nicht weit: Waren die unternehmensinternen Haftungsvermeidungsmaßnahmen ausreichend, hat die Geschäftsleitung die nötige Klima-Compliance walten lassen? Der folgende Beitrag versucht sich an einer skizzenhaften Antwort, wobei der vieldiskutierte RWE-Fall als Muster dient.

I. Einleitung
II. Unternehmerische Klimahaftung
III. Klima-Compliance

1. Anforderungen
a) Erkennbarkeit
b) Zumutbarkeit
2. Binnenregress
a) Ermessensunterschreitung?
b) Profitable Pflichtverletzung?
c) Verjährung?
IV. Zusammenfassung und Ausblick


I. Einleitung

Derzeit wird viel über eine Klimahaftung von Energieproduzenten und anderen privaten Großemittenten diskutiert. Dabei steht regelmäßig die unternehmerische Außenhaftung im Zentrum. 1 Viel Aufmerksamkeit bekommt der vor dem OLG Hamm verhandelte RWE-Fall, in dem ein peruanischer Grundstückseigentümer gegen den Essener Energieproduzenten RWE vorgeht. Weil der Eigentümer sein Grundstück von einem abschmelzenden Gletscher bedroht sieht und in der RWE AG einen entscheidenden Mitverursacher des Klimawandels erblickt, verlangt er Kostenersatz für Flutschutzmaßnahmen.

Dagegen wird die Innenhaftung der Leitungsorgane hierzulande kaum thematisiert. Das ist verwunderlich, hängt sie doch eng mit der unternehmerischen Klimahaftung zusammen. Haften Energieproduzenten wie die RWE AG im Außenverhältnis für Klimaschäden, sind Fragen des Binnenregresses gegen Vorstandsmitglieder nicht weit: Waren die unternehmensinternen Haftungsvermeidungsmaßnahmen ausreichend, hat der Vorstand die nötige Klima-Compliance walten lassen?

Der folgende Beitrag versucht sich an einer skizzenhaften Antwort. Als Exempel dient der erwähnte RWE-Fall, vielfach sollten sich die Ergebnisse aber auch auf ähnliche Klimahaftungskonstellationen anwenden lassen. Um die Darstellung nicht ausufern zu lassen, wird die Klima-Außenhaftung als gegeben vorausgesetzt, genauer: der Beitrag projiziert das andernorts entwickelte unternehmerische Klimahaftungsmodell in das gesellschaftliche Binnenverhältnis.

Dazu wird im ersten Schritt die Herleitung der unternehmerischen Klimahaftung kurz zusammengefasst (II). Anschließend werden die Anforderungen an die Klima-Compliance und mögliche Haftungsfolgen für Leitungsorgane erörtert (III). Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung (IV).

II. Unternehmerische Klimahaftung
Der RWE-Fall eignet sich auch deshalb gut als Anschauungsmaterial, weil seine Grundzüge schnell erklärt sind: Der Kläger ist Eigentümer eines flussnahen Grundstücks im peruanischen Huaraz, das mit dem Wohnhaus der Familie bebaut ist. In der Nähe befindet sich der Palcaraju-Gletscher, der in den letzten Jahrzehnten stark in den angrenzenden Gletschersee abgeschmolzen ist. Der Kläger befürchtet, dass sich der See jederzeit ins Tal ergießen und sein Grundstück samt Wohnhaus überfluten könnte. Weil er all das auf den Klimawandel zurückführt, sieht er durch die RWE AG – einem der größten Treibhausgasemittenten weltweit – seine Gesundheit und sein Eigentum bedroht (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB). Um besser vor Überflutung geschützt zu sein, hat er deshalb eigens die Außenmauern seines Hauses verstärkt und ein zweites Stockwerk als Rückzugsort errichtet. Die entstandenen Kosten verlangt der Kläger nun anteilig von der RWE AG ersetzt, weil er ein Geschäft der eigentlich zuständigen Störerin RWE geführt habe (§§ 677, 683 Satz 1, § 670 BGB) bzw. RWE in sonstiger Weise auf seine Kosten bereichert sei (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 BGB).

Diese und ähnliche Klimahaftungsansprüche wurden lange recht pauschal abgelehnt. Es könne schon kein spezifischer Kausalzusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und drohender Beeinträchtigung (bzw. Schaden) aufgezeigt werden, außerdem sei das Emissionsverhalten nicht rechtswidrig. Angestoßen durch das OLG Hamm, das im RWE-Fall die Klage für schlüssig hielt und in die Beweisaufnahme eintrat, kommen jedoch immer mehr Literaturstimmen zu einer differenzierteren Einschätzung. Hinsichtlich des Kausalitätsnachweises wird mit Recht auf die Fortschritte der Klimawissenschaft verwiesen, die heute nicht nur quantifizieren kann, wieviel wahrscheinlicher und intensiver bestimmte Ereignisse im Zuge des menschengemachten Klimawandels werden, sondern auch, wie hoch der Verursachungsbeitrag einzelner Treibhausgasemittenten daran ausfällt. Für den RWE-Fall lässt sich so aufzeigen, dass das Überflutungsrisiko des Beklagten klimabedingt von „mittel“ auf „hoch“ geklettert ist und RWEs Anteil zu dieser Risikosteigerung 0,321 % beträgt. Weil diese und andere klimawissenschaftliche Studien sehr hohe Sicherheitsgrade aufweisen und ein aufwendiges peer review durchlaufen haben, sollte eine Richterin das Bestehen einer Kausalbeziehung daher regelmäßig i.S.v. § 286 ZPO für wahr erachten. Auch der von Skeptikern häufig angeführte Legalisierungseinwand – wenn behördliche Genehmigungen und andere öffentlich-rechtliche Regelungsregime (TEHG, BImSchG etc.) Treibhausgasemissionen erlaubten, seien sie auch privatrechtlich legal – krankt schon daran, dass öffentlich-rechtliche Vorgaben nur eine privatrechtliche Indizwirkung haben. Und für diese Indizwirkung ist in Klimahaftungskonstellationen nach dem Muster des RWE-Falls regelmäßig kein Raum: Weil die beim Kläger ankommenden Immissionen in der Summe „nach Art und Ausmaß geeignet sind, Gefahren und erhebliche Nachteile“ herbeizuführen, besteht eine nicht zu duldende wesentliche Beeinträchtigung.

Neben Kausalität und Rechtswidrigkeit ist der dritte Knackpunkt einer Klimahaftung die Pflichtverletzung des Emittenten. Wie andernorts näher ausgeführt, lässt sich für Energieproduzenten wie RWE eine solche Pflichtverletzung anhand der Grundsätze von deliktischer Umwelt- und Produzentenhaftung begründen: Weil Energieproduzenten wie RWE zur Stromerzeugung fossile Brennstoffe verfeuern und dabei quasi abfallartig gefährliche Treibhausgase freisetzen, trifft sie eine Produktionsbeobachtungspflicht. Zeichnet sich eine Rechtsgutsgefährdung für Dritte ab, müssen sie geeignete Schadensvermeidungsmaßnahmen ergreifen. Weil Energieproduzenten wie die RWE AG aber regelmäßig als juristische Personen organisiert sind und sich als bloße Rechtsgeschöpfe nicht pflichtgemäß verhalten können, muss die Produktionsbeobachtungspflicht durch die zuständigen Stellen im Unternehmen umgesetzt werden.

III. Klima-Compliance
Wie auch sonst bei deliktischer Umwelt- und Produzentenhaftung fällt die Umsetzung der Produktionsbeobachtungspflicht in den Aufgabenbereich der Geschäftsleitung. In Aktiengesellschaften wie der RWE AG ist also der Vorstand zuständig. Hier verzahnen sich externer und interner Pflichtenkreis: Die deliktische Produktionsbeobachtungspflicht wird im Binnenverhältnis zur Folie für die Legalitäts(kontroll)pflicht. In jüngerer Zeit hat sich hierfür der Begriff Compliance etabliert: Kraft seiner Leitungsverantwortung hat der Vorstand sicherzustellen, dass...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.02.2023 15:10
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

zurück zur vorherigen Seite