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BVerfG 6.12.2022, 2 BvL 29/14

Weitere Übergangsregelung vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren im Jahressteuergesetz 2010 ist verfassungswidrig

§ 36 Absatz 6a KStG in der Fassung von § 34 Abs. 13f KStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 ist mit Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Regelung kann zu einem Verlust von im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren realisierbarem Körperschaftsteuerminderungspotenzial führen, ohne dass dies durch die gleichzeitige Verringerung von Körperschaft-steuererhöhungspotenzial vollständig kompensiert wird.

Der Sachverhalt:
Während der Geltung des Anrechnungsverfahrens wurde das verwendbare Eigenkapital (vEK) der Gesellschaft entsprechend seiner Vorbelastung mit Körperschaftsteuer in verschiedene „Eigenkapitaltöpfe“ (EK) gegliedert. Eine Belastung des einbehaltenen Gewinns mit 45 % wurde im sog. „EK 45“ vermerkt, eine Belastung mit 40 % im „EK 40“. Diese enthielten ein Körperschaftsteuerminderungspotenzial i.H.d. Differenz zwischen Tarif- und Ausschüttungsbelastung. Steuerfreie Vermögensmehrungen wurden im „EK 0“ erfasst. Letzteres unterteilte sich in die nach Doppelbesteuerungsabkommen steuerfreien ausländischen Gewinne und Verluste (EK 01), Altrücklagen aus den Jahren vor 1977 (EK 03), offene und verdeckte Einlagen der Gesellschafter (EK 04) sowie sonstige der Körperschaftsteuer nicht unterliegende Vermögensmehrungen (EK 02). Das EK 02 und das EK 03 wurden bei einer Ausschüttung mit dem Ausschüttungssteuersatz von 30 % nachbelastet, sie enthielten also ein Körperschaftsteuererhöhungspotenzial.

Den Übergang vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren gestaltete der Gesetzgeber durch die mit dem Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 neu in das Gesetz eingefügten §§ 36 bis 40 KStG. Gem. § 36 KStG wurden die unterschiedlich mit Körperschaftsteuer belasteten Teilbeträge des Eigenkapitals in mehreren Umrechnungsschritten zusammengefasst und umgegliedert und die so ermittelten Endbestände gesondert festgestellt. Diese Feststellung bildete die Grundlage für die Ermittlung des Körperschaftsteuerguthabens nach § 37 Abs. 1 KStG einerseits und der Nachbelastung mit Körperschaftsteuer gem. § 38 KStG andererseits.

Mit Beschluss vom 17.11.2009 (BVerfGE 125, 1 – Körperschaftsteuerminderungspotenzial I) erklärte der Erste Senat des BVerfG § 36 Abs. 3 und 4 KStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes für verfassungswidrig, soweit die Regelung durch die Umgliederung von EK 45 in EK 40 unter gleichzeitiger Verringerung des EK 02 zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial führte. Daraufhin änderte der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2010 die Übergangsvorschriften der §§ 36 und 37 KStG durch Einfügung von § 34 Abs. 13f, 13g KStG. Nach der Neuregelung wurde die vorrangige Umgliederung von EK 45 in EK 40 durch § 36 Abs. 3 KStG gestrichen. Gem. § 36 Abs. 4 bis 6 KStG findet zunächst in mehreren Schritten eine Verrechnung belasteter und unbelasteter Eigenkapitalteile statt. Daran schließt sich im letzten Schritt gem. § 36 Abs. 6a KStG die Umgliederung des EK 45 in EK 40 unter gleichzeitiger Verringerung des EK 02 an, sofern nach den vorgenannten Verrechnungsschritten ein positiver Teilbetrag des EK 02 verblieben ist. Dieser wird zunächst um 5/22 eines positiven Bestands an EK 45, jedoch maximal bis auf null vermindert und das EK 45 entsprechend erhöht. In Höhe von 27/5 des Betrags, um den das EK 02 gemindert worden ist, wird sodann das EK 40 erhöht und das EK 45 vermindert. Damit wird – anders als nach § 36 Abs. 3 KStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes – vermieden, dass das EK 02 durch die Umgliederung negativ wird und die anschließende Verrechnung mit belasteten Eigenkapitalteilen umgliederungsbedingt zu einem Verlust von Körperschaftsteuerminderungspotenzial führt.

Bei der Klägerin des Ausgangsverfahrens, einem Kreditinstitut in der Rechtsform einer eingetragenen Genossenschaft, führte die Feststellung der Endbestände des vEK gem. § 36 Abs. 7 KStG durch das Finanzamt aufgrund der Regelung in § 36 Abs. 6a KStG zu einer Verringerung des Körperschaftsteuerguthabens gem. § 37 Abs. 1 KStG gegenüber dem im Zeitpunkt des Systemwechsels vorhandenen Körperschaftsteuerminderungspotenzial. Nach erfolglosem Einspruch erhob sie Klage zum FG. Dieses hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 36 Abs. 6a KStG mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist.

Das BVerfG hat dies bejaht.

Die Gründe:
§ 36 Abs. 6a KStG verstößt gegen Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Die Regelung kann zu einem Verlust von im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren realisierbarem Körperschaftsteuerminderungspotenzial führen, ohne dass dies durch die gleichzeitige Verringerung von Körperschaftsteuererhöhungspotenzial vollständig kompensiert wird.

Nach dem bis Ende 2000 geltenden Anrechnungsverfahren wurden nicht ausgeschüttete steuerbare Gewinne von Körperschaften mit (zuletzt) 40 % Körperschaftsteuer belastet (Tarifbelastung). Kam es später zu Gewinnausschüttungen, reduzierte sich der Steuersatz auf (zuletzt) 30 % (Ausschüttungsbelastung). Für die Körperschaft entstand so ein Körperschaftsteuerminderungspotenzial i.H.d. Differenz zwischen Tarif- und Ausschüttungsbelastung, zuletzt also in Höhe von 10 %. Steuerfreie Vermögensmehrungen der Körperschaft wurden dagegen zum Teil bei einer Ausschüttung mit dem Ausschüttungssteuersatz von 30 % nachbelastet, enthielten also ein Steuererhöhungspotenzial.

§ 36 KStG ist Teil der Übergangsvorschriften, die den Wechsel vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren regeln. Danach wurden die unter dem Anrechnungsverfahren gebildeten, unterschiedlich mit Körperschaftsteuer belasteten und die nicht belasteten Teilbeträge des verwendbaren Eigenkapitals in mehreren Schritten zusammengefasst und umgegliedert. Das in den verbleibenden belasteten Eigenkapitalteilen enthaltene Körperschaftsteuerminderungspotenzial wurde in ein Körperschaftsteuerguthaben umgewandelt, das während einer mehrjährigen Übergangszeit abgebaut werden konnte.

Die Regelung in § 36 Abs. 6a KStG sieht die Umgliederung des mit 45 % vorbelasteten Eigenkapitals (EK 45) in mit 40 % vorbelastetes Eigenkapital (EK 40) vor; gleichzeitig wird ein positiver nicht mit Körperschaftsteuer vorbelasteter Eigenkapitalteil (EK 02) verringert, bis er verbraucht ist. Bei dieser Umgliederung kann es zu einem Verlust von im Zeitpunkt des Systemwechsels realisierbarem Körperschaftsteuerminderungspotenzial kommen, ohne dass dies durch die Verringerung eines im EK 02 ruhenden und im Zeitpunkt des Systemwechsels realisierbaren Körperschaftsteuererhöhungspotenzials ausgeglichen wird.

Das unter dem Anrechnungsverfahren angesammelte Körperschaftsteuerminderungspotenzial unterfällt in dem Umfang, in dem es im Zeitpunkt des Systemwechsels vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren realisierbar war, dem Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG). In dieses Schutzgut greift § 36 Abs. 6a KStG bei einer bestimmten Eigenkapitalstruktur nachteilig ein. Dieser Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Er ist zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele jedenfalls nicht erforderlich und wird den Anforderungen des Gleichheitssatzes an die Umgestaltung von Eigentümerbefugnissen nicht gerecht.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 07.02.2023 14:09
Quelle: BVerfG PM Nr. 16 vom 7.2.2023

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