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BGH v. 8.12.2022 - IX ZB 72/19

In Drittstaat gestellter Eröffnungsantrag hindert nicht die internationale Zuständigkeit deutscher Insolvenzgerichte

Nach dem autonomen internationalen Insolvenzrecht hindert ein in einem Drittstaat gestellter Eröffnungsantrag allein nicht die internationale Zuständigkeit deutscher Insolvenzgerichte.

Der Sachverhalt:
Die Schuldnerin ist eine im April 2014 gegründete Holdinggesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz in Luxemburg. Sie beschäftigt keine Arbeitnehmer. Im Juni 2019 beabsichtigte sie, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Fareham in England zu verlegen. Ihre am 13. Juni 2019 berufenen Direktoren beantragten am 22. August 2019 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beim High Court of Justice, Business and Property Court of England and Wales, Insolvency and Companies List (ChD) (fortan: High Court).

Sie wurden am nächsten Tag auf Betreiben einer Gläubigergruppe aufgrund einer Anteilsverpfändung durch einen neuen Direktor ersetzt, der für die Schuldnerin ein Büro in Düsseldorf einrichtete und dort tätig wurde. Er wies die anwaltlichen Vertreter der Schuldnerin an, den Insolvenzantrag beim High Court zurückzunehmen. Zur Rücknahme kam es nicht. Stattdessen erfolgte der Eintritt einer anderen Gläubigergruppe in den Insolvenzantrag, weshalb das Verfahren als Gläubigerverfahren weitergeführt wurde. Der High Court hat bis zum Ablauf des 31. Dezember 2020 über den Insolvenzantrag nicht entschieden.

Auf einen Insolvenzantrag der Schuldnerin vom 23. August 2019 bei dem AG Düsseldorf ordnete dieses mit Beschluss vom selben Tag Sicherungsmaßnahmen an und bestellte den weiteren Beteiligten zu 1 zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Ab dem 25. August 2019 wurden Kapitalmarkt und Anleihegläubiger über eine Verlegung des Verwaltungssitzes nach Düsseldorf unterrichtet. Auf sofortige Beschwerde von Gläubigern hob das Insolvenzgericht seinen Beschluss am 6. September 2019 mangels internationaler Zuständigkeit wieder auf und wies den Schuldnerantrag als unzulässig zurück.

Am 6. September 2019 haben die weiteren Beteiligten zu 3 und 4 als Gläubigerinnen beim AG Düsseldorf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Auf diesen Antrag hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 9. September 2019 Sicherungsmaßnahmen angeordnet und den Beteiligten zu 1 zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.

Es hat seine internationale Zuständigkeit darauf gestützt, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin bei Antragstellung in Düsseldorf befunden habe. Hiergegen hat die weitere Beteiligte zu 2, eine Tochtergesellschaft der Schuldnerin, als Gläubigerin sofortige Beschwerde eingelegt.

Sie hat die internationale Zuständigkeit gerügt und behauptet, der Verwaltungssitz der Schuldnerin sei im Juni 2019 nach Fareham verlegt worden. Das LG wies die sofortige Beschwerde zurück.

Der BGH hat auch die Beschwerde zurückgewiesen.
 

Die Gründe:
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat gemeint, das Insolvenzgericht habe seine internationale Zuständigkeit in der Sache zu Recht angenommen. Es sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin, bei der es sich um eine Holdinggesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft handele, am 6. September 2019 in Deutschland gelegen habe.

In Düsseldorf habe sich seit Anfang September das von der Geschäftsführung genutzte, technisch umfassend eingerichtete und voll funktionsfähige Büro befunden, in dem der einzige Geschäftsführer der Schuldnerin persönlich anwesend gewesen sei und von dem aus die täglichen Managemententscheidungen getroffen worden seien. Die Geschäftsanschrift der Hauptverwaltung in Düsseldorf sei auch Anfang September aufgrund einer Mitteilung des Geschäftsführers der Schuldnerin vom 23. August 2019, der im Schriftverkehr fortan ausschließlich verwendeten Düsseldorfer Anschrift sowie entsprechender zusätzlicher Benachrichtigungen von Gläubigern für außenstehende Dritte hinreichend erkennbar gewesen.

Aus dem am 22. August 2019 beim High Court gestellten Insolvenzantrag ergebe sich keine generelle Sperrwirkung für das deutsche Insolvenzverfahren. Der Grundsatz, dass die bei Antragstellung gegebene internationale Zuständigkeit eines Gerichts nicht dadurch beseitigt werden könne, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen zwischen Antrag und Eröffnung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werde, betreffe lediglich die fortbestehende Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts; er habe keine Auswirkung auf die Zuständigkeit für Folgeanträge bei anderen Gerichten.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

Das Insolvenzgericht war für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und die Bestellung des Beteiligten zu 1 zum vorläufigen Insolvenzverwalter international zuständig.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte beurteilt sich nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO und nicht - wie die Rechtsbeschwerde meint - nach § 3 InsO. Dies gilt unabhängig von den Wirkungen, die der Vollzug des Brexit auf die Anwendbarkeit der Europäischen Insolvenzverordnung im Verhältnis zum Vereinigten Königreich hat.

Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Schuldnerin in Deutschland gesehen.

Auf die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts haben nach Ablauf des 31. Dezember 2020 erfolgte Entscheidungen des High Court über den Insolvenzantrag vom 22. August 2019 keinen Einfluss.

Im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das Beschwerdegericht angenommen, dass das Insolvenzgericht an dem Erlass von Sicherungsmaßnahmen in Deutschland nicht deshalb gehindert war, weil bereits am 22. August 2019 ein Insolvenzantrag beim High Court gestellt worden war.

Ursprünglich war zwar entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausgeschlossen. Die aus dem bei dem High Court gestellten Antrag gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO folgende Sperrwirkung ist jedoch mit Ablauf des 31. Dezember 2020 entfallen.

Nach Art. 67 Abs. 3 Buchst. c BrexitAbk ist die Europäische Insolvenzverordnung im Verhältnis zum Vereinigten Königreich allerdings noch auf Verfahren anzuwenden, die bis zum Ablauf der Übergangsfrist eingeleitet worden sind. Hierbei ist jedoch, wie der Gerichtshof der Europäischen Union nunmehr entschieden hat, unter der Einleitung des Verfahrens nicht bereits die Antragstellung, sondern erst die Verfahrenseröffnung zu verstehen (vgl. EuGH, Urteil vom 24. März 2022 - C-723/20, Galapagos BidCo.)

Mehr zum Thema:

Kurzbeitrag:
EuGH zur Zuständigkeit für Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens bei Verlegung der Hauptverwaltung der Schuldnergesellschaft nach Antragstellung
ZIP 2022, R4

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.01.2023 11:27
Quelle: BGH online

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