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Aktuell in der ZIP

Die Insolvenz des Kryptoverwahrers (d’Avoine, Hamacher, ZIP 2022, 2214)

Finanzmärkte stehen unter Druck und auch Kryptoverwahrer sind bereits in finanzielle Schieflage geraten. Kunden verlangen mitunter bei Insolvenz ihres Kryptoverwahrers die Ab- oder Aussonderung Ihrer Werte. Jedoch dürften aufgrund fehlender Bestimmtheit und Bestimmbarkeit des oder der Kryptowerte(s) in der Regel keine Ab- oder Aussonderungsrechte greifen, jedenfalls, wenn nicht eine fremdnützige Treuhand besteht.

A. Einleitung zu Kryptowerten
B. Aktuelle Rechtslage in Deutschland

I. Keine Absonderung, §§ 49 ff. InsO
II. Keine Masseverbindlichkeit, § 55 InsO
III. Aussonderung, § 47 InsO
1. Aussonderungsberechtigung
2. Aussonderungsfähigkeit von Kryptowerten und -währungen
3. Bestimmtheit und Bestimmbarkeit des Gegenstands
4. Fehlende Bestimmbarkeit aufgrund „internal settlements“
a) Sammelverwahrung bzw. „omnibus wallets“
b) Beweislast liegt beim Kunden
c) Keine andere Wertung bei Annahme eines Treuhandverhältnisses
5. Überwindung fehlender Bestimmbarkeit durch Poolbildung
IV. Vergleich zum Aktiendepot; Übertragbarkeit auf Token?
V. Vergleich zum Kryptowertpapierregister
VI. Vergleich Aussonderungsrecht nach § 22j Abs. 1 Satz 1 KWG
C. Handlungsbedarf des Gesetzgebers
I. Argumente gegen eine Regulierung
II. Argumente für eine Regulierung
III. Stellungnahme
D. bisherige internationale Lösungsansätze
E. Fazit


A. Einleitung zu Kryptowerten

Kryptowerte sind inzwischen regelmäßig Thema in der Geschäftswelt und unbestritten eine „neue Anlage- und Tradingklasse“. Gleichsam sind sie fester Bestandteil des Finanzmarkts. Im Insolvenzverfahren des Krypto-Users, u.a. des Anlegers oder Investors, sind in der Literatur bereits Problemschwerpunkte fixiert und Lösungsansätze entwickelt worden. In der Praxis mehren sich zudem Fälle, in denen Kryptowerte bzw. Kryptowährungen als Vermögensgegenstände bestätigt, als Insolvenzmasse erkannt, gesichert und letztlich auch verwertet werden können.

Auf internationaler Ebene existieren zwar Bestrebungen, umfassende Meldepflichten für Unternehmer zwecks Informationsaustausch der Finanzverwaltung (genannt CARF) zu installieren. Die europäische Kommission legte mit der MiCA-VO-E ebenfalls einen wichtigen gesetzgeberischen Grundstein für eine länderübergreifende Regulierung des Kryptomarkts. Der deutsche Gesetzgeber hat bislang jedoch nur zögerlich reagiert. Die bisher größten Errungenschaften sind die Legaldefinitionen von Kryptowährungen sowie die Regulierung des Kryptoverwahrgeschäfts in § 1 Abs. 1a Nr. 6 Kreditwesengesetz (KWG). Darüber hinaus bestehen keine neuen Gesetzesgrundlagen, die den Kryptowährungsmarkt in Deutschland regulieren.

In der Praxis verwahrt der Inhaber seine Kryptowerte meistens nicht selbst, sei es, weil er die Zeit für Verwaltung und Sicherung nicht aufwenden will/kann, sei es, weil er (noch) nicht die entsprechende technische Kompetenz hat. Daher werden Token oder die kryptografischen Schlüssel (private keys) überwiegend von einem Dritten verwahrt. Dieser Dritte wird auch „Walletanbieter“ oder „Kryptoverwahrer“ genannt. Die Kryptoverwahrung ist eine nach dem KWG erlaubnispflichtige Dienstleistung. Das Zulassungsverfahren begrenzt die Anzahl der Unternehmen, allerdings zeigen sich Finanzmitteldienstleister mit anhaltend steigender Tendenz auf dem Kryptomarkt. Allein auf der Vergleichsseite www.coinmarketcap.com sind aktuell 270 internationale Kryptobörsen gelistet. Mit Sitz in Deutschland existieren aktuell über 16 namhafte Kryptoanbieter, die den Erwerb, die Verwahrung und den Handel von und mit Kryptowährungen ermöglichen. Der Konkurrenzdruck ist hoch und wird voraussichtlich weiter anwachsen. Die jüngsten Krisen (Ukraine, Energie usw.) werden alternative Assetklassen und „Ersatzwährungen“ weiter befeuern.

Die Werte sind volatil und der Wettbewerb ist intensiv. Es ist nicht verwunderlich, dass bereits Kryptoverwahrer in finanzielle Schieflage geraten sind. So ist z.B. am 17.12.2021 die im australischen Melbourne ansässige Krypto-Börse „My Crypto Wallet“ zusammengebrochen. Der Handel mit Kryptowährungen über die eigene Internetplattform musste seinerzeit kurzfristig eingestellt werden. Auch der Anbieter Coinbase hatte mit einer Erklärung im Quartalsbericht 2022 Aufsehen erregt: „Die Krypto-Assets, die wir für unsere Kunden verwahren, könnten Teil eines Konkursverfahrens werden“. Der Coinbase-Konzern verwaltet insgesamt rund 256 Mrd. US-Dollar Kundenvermögen in Fiat- und Kryptowährungen und hat ebenfalls einen Geschäftssitz in Deutschland, Berlin. Im Juli 2022 hatte der US-Anbieter Celsius die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft beantragt. Da das deutsche Fintech-Unternehmen und Kryptoverwahrer Nuri (vormals Bitwala) eng mit Celsius kooperierte, geriet auch Nuri in finanzielle Schwierigkeiten. Seit dem 9.8.2022 ist das (vorläufige) Insolvenzverfahren vor dem Insolvenzgericht Berlin Charlottenburg (Az. 36n IN 4212/22) anhängig.

Immer wieder „predigen“ erfahrene Krypto-Anleger „lass deine Coins nicht auf einer Börse liegen“. „Not your Keys, not your Coins“ ist in der Krypto-Szene geflügeltes Wort. Dennoch haben viele User keine Ambitionen oder auch keine Kompetenz, eine anbieterunabhängige Wallet zu gründen und ihre Coins nach dort zu transferieren. Dies mag u.a. daran liegen, dass die Leistungen des Kryptoverwahrers für die meisten User vollkommen ausreichend und vertrauenswürdig erscheinen. Die Konsequenzen unterlassenen eigenen Engagements können hingegen weitreichend und unüberschaubar sein.

Tokeninhaber sehen sich bei einer eintretenden Insolvenz eines Kryptoverwahrers mit Sitz in Deutschland erheblichen rechtlichen Unsicherheiten ausgesetzt. Es stellt sich gemeinhin die Frage, wie mit Kryptowerten in der Insolvenz des Kryptoverwahrers zu verfahren ist, vor allem, ob verwahrte Token aussonderungsfähig sind. Dabei wird vorausgesetzt, dass das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet und damit auch das deutsche materielle Insolvenzrecht einschlägig ist.

Nach dieser Einleitung (A) soll die aktuelle Rechtslage in Deutschland dargestellt werden (B), um darauf aufbauend gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu erörtern (C) sowie bisherige internationale Lösungsansätze aufzuzeigen (D) und um am Ende ein Fazit zu ziehen (E).

B. Aktuelle Rechtslage in Deutschland
In der Literatur besteht insoweit Klarheit, dass in der Insolvenz des Users Kryptowerte und -währungen Teil der Insolvenzmasse gem. § 35 InsO darstellen. Sollte also eine juristische oder natürliche Person Kryptowerte gekauft haben und halten, stellen diese, insb. Currency-Token wie z.B. Bitcoins oder Ether u.a., verwertbares Vermögen dieser Person dar. Dieses schuldnerische Vermögen ist vom Insolvenzverwalter zu sichern und zu verwerten. Ob die Token in einer anbieterunabhängigen Wallet gehalten oder von einem Dritten verwahrt werden, ändert diese Betrachtungsweise nicht.

Die Kryptoverwahrung ist eine nach § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung gem. § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 6 KWG. Hierunter versteht der deutsche Gesetzgeber die Verwahrung, die Verwaltung und die Sicherung von Kryptowerten. Erfasst ist auch die Verwahrung der privaten kryptografischen Schlüssel (private keys), die dazu dienen, über Kryptowerte zu verfügen. Fraglich ist und bleibt jedoch, ob die Kunden eines Kryptoverwahrers aus den verwahrten Token Sicherungsrechte ableiten können oder die Ansprüche im Fall der Insolvenz im Rang einer „einfachen“ Insolvenzforderung liegen. In aller Regel wird der Kunde eines insolventen Kryptoverwahrers die Herausgabe seiner Kryptowerte wünschen, d.h....


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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 08.11.2022 16:38
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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