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BVerfG v. 24.5.2022 - 1 BvR 2342/17

Verfassungsbeschwerde wegen unterlassenem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH erfolglos

Das BVerfG hat ein Verfassungsbeschwerde die Frage betreffend, ob der BGH mit der Anerkennung einer urheberrechtlichen Vergütungspflicht für direkt an gewerbliche Endkunden veräußerte PCs das Recht des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt hat, weil die Entscheidung ohne Durchführung eines Vorabentscheidungsersuchens gem. Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) an den EuGH erging, nicht zur Entscheidung angenommen.

Der Sachverhalt:
Gegenstand des fachgerichtlichen Ausgangsverfahrens war der Abschluss eines Gesamtvertrages zwischen dem Beschwerdeführer, einer Nutzervereinigung i.S.d. §§ 8, 35 Verwertungsgesellschaftsgesetz, und den zuständigen Verwertungsgesellschaften der Urheber zur Regelung der urheberrechtlichen Vergütungspflicht für PCs. Zentraler Streitpunkt war die Frage, ob sich die urheberrechtliche Vergütungspflicht auch auf PCs erstreckt, die unmittelbar an gewerbliche Endkunden veräußert werden.

Das OLG wies die Klage des Beschwerdeführers ab und setzte auf Widerklage der Verwertungsgesellschaften einen Gesamtvertrag fest, der auch eine Vergütungspflicht für direkt an gewerbliche Endkunden gelieferte PCs umfasste. Der BGH wies die hiergegen gerichtete Revision des Beschwerdeführers zurück. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, weil der BGH ohne Durchführung eines Vorabentscheidungsersuchens zur Auslegung des Art. 5 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/29/EG an den EuGH entschieden hat.

Das BVerfG nahm die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf, dass der BGH seine Vorlagepflicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV im Ausgangsverfahren in nicht mehr vertretbarer Weise gehandhabt und durch das Unterlassen der Vorlage an den EuGH die Gewährleistung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt hat.

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein nationales letztinstanzliches Gericht zur Vorlage verpflichtet, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass diese Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Ein nationales Gericht darf einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage nur verneinen, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH die gleiche Gewissheit besteht.

Der BGH hat die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV weder grundsätzlich verkannt noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass er in den angegriffenen Entscheidungen ohne Vorlagebereitschaft bewusst von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen wäre. Er hat zwar die unionsrechtliche Vorlagepflicht in Erwägung gezogen, aber angenommen, dass die Anwendung der urheberrechtlichen Vergütungsregelung auch auf unmittelbar an gewerbliche Endkunden veräußerte PCs im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stehe und die Rechtslage unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH geklärt sei. Diese Annahme traf der BGH auch nicht in unvertretbarer Weise.

Zwar ist angesichts der divergierenden Rechtsprechung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs zweifelhaft, ob hinsichtlich einer grundsätzlichen Erstreckung der Vergütungspflicht auf gewerbliche Geräteabnehmer von einer unionsrechtlichen Rechtslage auszugehen ist, die eindeutig oder in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Wenn dem in letzter Instanz entscheidenden einzelstaatlichen Gericht das Vorliegen voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen - von Gerichten ein und desselben Mitgliedstaats oder zwischen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten - zur Auslegung einer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Vorschrift des Unionsrechts zur Kenntnis gebracht wird, muss es bei seiner Beurteilung der Frage, ob es an einem vernünftigen Zweifel in Bezug auf die richtige Auslegung der fraglichen Unionsrechtsvorschrift fehlt, besonders sorgfältig sein und dabei insbesondere das mit dem Vorabentscheidungsverfahren angestrebte Ziel berücksichtigen, die einheitliche Auslegung des Unionsrechts zu gewährleisten. Hier trägt der Beschwerdeführer aber nicht vor, wann die nur kurze Zeit vor der Verkündung des angegriffenen Revisionsurteils ergangene Entscheidung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs veröffentlicht wurde, so dass anzunehmen wäre, dass der BGH diese zum maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsverkündung gekannt hätte oder sie jedenfalls hätte kennen müssen.

Die durch den Beschwerdeführer ebenfalls aufgeworfene Frage, ob die Generalklauseln im deutschen Recht die Anforderungen der Rechtsprechung des EuGH an einen Anspruch auf Erstattung einer geleisteten Privatkopievergütung stellt, war als Frage der Subsumtion des nationalen Rechts unter das Unionsrecht schon nach dem Wortlaut des Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a AEUV nicht vorlagefähig. Kommt das höchste nationale Fachgericht - wie hier der BGH - zu dem Ergebnis, dass das nationale Recht unter Einbeziehung seiner Generalklauseln so ausgelegt werden kann, dass es den unionsrechtlichen Erfordernissen gerecht wird, ergibt sich daraus keine vorlagefähige Rechtsfrage. Einer Vorlage an den EuGH bedarf es nur, wenn unklar ist, wie die unionsrechtlichen Anforderungen zu verstehen sind.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.06.2022 14:35
Quelle: BVerfG PM Nr. 57 vom 28.6.2022

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