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BGH v. 21.4.2022 - I ZR 214/20

Musik-Komposition für Fernsehserie: Zur Frage der Sittenwidrigkeit wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung

Für die Beurteilung, ob Verträge über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik und deren Verlag wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB sind, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare Entwicklungen bleiben außer Betracht. Die in Form von AGB in einem Vertrag über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik vorgesehene Verpflichtung zum Abschluss eines Verlagsvertrags unterliegt nach § 8 AGBG a.F. (jetzt: § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) als privatautonome Gestaltung des vertraglichen Leistungsprogramms nicht der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Komponist und hat 1991 die Nutzungsrechte an seinen gegenwärtigen und zukünftigen Werken zur Wahrnehmung an die GEMA übertragen. Die Beklagte ist eine zum RTL-Konzern gehörende Musikproduktions- und Musikverlagsgesellschaft. Sie hat den Kläger in den Jahren 1994 bis 2000 mit der Komposition, dem Arrangement und der Produktion verschiedener Filmmusiken für die Fernsehserie "Dr. Stefan Frank" sowie für verschiedene Fernsehfilme beauftragt. Die hierzu von den Parteien jeweils geschlossenen Verträge (nachfolgend: Produktionsverträge) enthalten die folgenden, im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen:

§ 1 Auftrag
1.1. I2i [die Beklagte] beauftragt den Vertragspartner [den Kläger] mit der Komposition, dem Arrangement und der Produktion der Filmmusik …

§ 3 Rechte
3.1 Der Vertragspartner überträgt auf i2i alle ihm an der Komposition und durch die Produktion der Musik (im Folgenden "Werk" genannt) entstehenden Urhebernutzungs- sowie Leistungsschutzrechte, soweit diese nicht durch die GEMA und/oder GVL wahrgenommen werden, und sonstigen Rechte einschließlich des Eigentumsrechts an dem gesamten Aufzeichnungsmaterial in exklusiver Form ohne zeitliche, inhaltliche Beschränkung zur uneingeschränkten Auswertung, auch durch Lizenzvergabe an Dritte. Insbesondere werden folgende Rechte übertragen:
a) das Filmherstellungsrecht ...
b) das Senderecht …
c) die Theaterrechte ...
d) das Videogrammrecht ...
e) das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht ...
f) das Bearbeitungs- und Synchronisationsrecht ...
g) das Recht zur Werbung und Klammerteilauswertung ...
h) das Merchandisingrecht …
3.2 Der Vertragspartner verpflichtet sich, alle Urhebernutzungsrechte an den für die Produktion geschaffenen Musikwerken auf i2i zu den üblichen Bedingungen (Verteilung nach dem GEMA-Verteilungsplan, für die Dauer der gesetzlichen Schutzfrist, weltweit) entsprechend dem anliegenden Verlagsvertrag zu übertragen. Soweit der Vertragspartner nicht Autor ist, hat er sich die entsprechenden Rechte zu beschaffen, um die obige Verpflichtung zu erfüllen.

§ 4 Vergütung
4.1 Der Vertragspartner erhält von i2i für seine Kompositions- und Produktionstätigkeit nach § 1 (einschließlich Studio, Musiker, Tontechniker, Bandmaterial, Reisespesen, Telefon etc.) sowie die Rechtsübertragung gem. § 3 ein Pauschalhonorar i.H.v. ...


Die in § 3.2 der Produktionsverträge erwähnten Verlagsverträge wurden ebenfalls geschlossen und enthalten folgende, im Wesentlichen jeweils gleichlautende Bestimmungen:

1. Der/Die URHEBER räumt/räumen dem VERLAG die Nutzungsrechte an seinem/ihrem/ihren Werk/en für alle Nutzungsarten ein, soweit und solange diese nicht sowohl für den/die URHEBER als auch für den VERLAG von einer Verwertungsgesellschaft treuhänderisch wahrgenommen werden. Die Einräumung der Nutzungsrechte an den VERLAG ist, soweit nicht anders vereinbart, ausschließlich und räumlich, zeitlich und inhaltlich unbeschränkt erfolgt.
2. Der Verlag ist insbesondere verpflichtet:
a) das/die Werk/e innerhalb einer angemessenen Frist nach Erhalt des vervielfältigungsreifen Manuskriptes mit Nennung des Namens des URHE-BERS und/oder MITURHEBER(S) in handelsüblicher Weise zu vervielfältigen und es zu verbreiten;
b) sich für die Nutzung der ihm nach Ziff. 1. eingeräumten Rechte in handelsüblicher Weise einzusetzen; …
5. Der/Die URHEBER ist/sind insbesondere berechtigt:
a) unter den in § 36 URG (Beteiligung des Urhebers) genannten Voraussetzungen vom VERLAG eine Änderung der in diesem Vertrag unter 7. vereinbarten Gegenleistung zu verlangen;
b) unter den in § 41 URG (Nichtausübung) und § 42 URG (Gewandelte Überzeugung) genannten Voraussetzungen und Bedingungen das Rückrufsrecht auszuüben. …
7. a) Die Verteilung der Erträgnisse aus der Verwertung der Nutzungsrechte durch die Verwertungsgesellschaften erfolgt gemäß dem von den URHE-BERN und VERLEGERN gemeinsam beschlossenen Verteilungsplan der Verwertungsgesellschaft. Maßgebend ist der jeweils zur Zeit des Vertragsabschlusses gültige Verteilungsplan. ...


Insgesamt erhielt der Kläger für seine Leistungen hinsichtlich der Serie "Dr. Stefan Frank" und zweier weiterer Sendungen in den Jahren 1994 bis 2000 Pauschalhonorare i.H.v. rd. 600.000 DM. Aufgrund der häufigen Ausstrahlung der Serie "Dr. Stefan Frank" in den Jahren 1995 bis 2017 erhielt er GEMA-Ausschüttungen i.H.v. insgesamt rd. 2,1 Mio. €. Die Beklagte erhielt gem. Ziffer 7 des Verlagsvertrags nach dem GEMA-Verteilungsplan rd. 40 % der GEMA-Ausschüttungen als Verlegeranteil, die sich in den Jahren 1995 bis 2017 auf insgesamt rd. 830.000 € beliefen.

Mit Schreiben vom 24.1.2017 berief sich der Kläger auf die Nichtigkeit der Verlagsverträge und kündigte diese vorsorglich fristlos aus wichtigem Grund. Die Verknüpfung von Kompositionsvertrag und Inverlagnahme stelle einen kartellrechtswidrigen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dar, weil sich die jedenfalls marktmächtige Beklagte auf Kosten des Klägers durch den Verlegeranteil refinanziere. Zudem seien diese Verlagsverträge wegen Wuchers nichtig und hielten einer Kontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht stand, weil der Vereinnahmung des Verlegeranteils keine verlegerische Leistung der Beklagten gegenüberstehe. Zuletzt begehrte der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der verschiedenen Verlagsverträge und hilfsweise die Feststellung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung zum 24.1.2017.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des OLG, es liege kein wucherähnliches Rechtsgeschäft oder ein sonstiger Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB vor.

Ein gegenseitiger Vertrag ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und der objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag eingelassen hat. Ein besonders grobes Äquivalenzmissverhältnis erlaubt es, auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten zu schließen. Diese tatsächliche Vermutung beruht auf dem Erfahrungssatz, dass in der Regel außergewöhnliche Leistungen nicht ohne Not oder nicht ohne einen anderen den Benachteiligenden hemmenden Umstand zugestanden werden und der Begünstigte diese Erfahrung teilt.

Für die Feststellung eines Missverhältnisses kommt es auf die objektiven Werte der Leistungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare Entwicklungen bleiben außer Betracht. Die gegenseitigen Leistungen sind nach den vertraglichen Vereinbarungen zu bemessen und nicht danach, was die Parteien sich nachfolgend einander gewährt haben. Ein geeignetes Mittel für die Bestimmung des objektiven Werts ist grundsätzlich der Marktvergleich. Insbesondere im Urheberrecht kann jedoch auch der sich aus einer branchenüblichen Vertragspraxis ergebende Marktpreis für eine Seite unbillig sein, wenn er in keinem angemessenen Verhältnis zu den zu erbringenden Leistungen steht. Denn der Urheber ist an den Erträgnissen und Vorteilen aus der Nutzung seines Werks angemessen zu beteiligen. Die Beurteilung des OLG, vorliegend bestehe nach den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen kein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB, ist frei von Rechtsfehlern.

Die Annahme des OLG, der Anwendungsbereich der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle sei nicht eröffnet, weil Hauptleistungspflichten der Verlagsverträge betroffen seien, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung ebenfalls stand. Nach § 8 AGBG (jetzt: § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) gelten die Vorschriften über die Inhaltskontrolle nur für Bestimmungen in AGB, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen durch die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle weder eine Kontrolle der Preise oder Leistungsangebote ermöglicht noch Vorschriften anderer Gesetze modifiziert werden. Somit findet eine Inhaltskontrolle hinsichtlich solcher Abreden nicht statt, die Art, Umfang und Güte der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu bezahlenden Vergütung unmittelbar regeln. Nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie ist es vielmehr den Vertragsparteien im Allgemeinen freigestellt, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen; mangels gesetzlicher Vorgaben fehlt es insoweit regelmäßig auch an einem Kontrollmaßstab. Die Freistellung von der Inhaltskontrolle gilt nur für Abreden über den unmittelbaren Leistungsgegenstand, während Regelungen, welche die Leistungspflicht der Parteien einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, inhaltlich zu kontrollieren sind. Durch Auslegung der betroffenen Vereinbarungen der Parteien ist zu ermitteln, welche Pflichten das Wesen des Vertrags charakterisieren und damit Hauptleistungspflichten sind.

Im Urheberrecht hat der Senat die Inhaltskontrolle von AGB über die Einräumung urheberrechtlicher Nutzungsrechte am Maßstab des § 31 Abs. 5 UrhG abgelehnt, weil es sich hierbei um eine Auslegungsregel zur Ermittlung der vertraglichen Hauptleistungspflichten für den Fall handelt, dass die Parteien diesen Kernbereich privatautonomer Vertragsgestaltung nicht geregelt haben. Auch § 11 Satz 2 UrhG, wonach das Urheberrecht der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werks dient, führt nicht dazu, unmittelbare Preisabreden in Urheberrechtsformularverträgen über die vom Urheber geschuldete Gegenleistung der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle zu unterwerfen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.06.2022 14:37
Quelle: BGH online

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