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Der Umfang der Inkassoerlaubnis nach dem "Lexfox-Urteil" des Bundesgerichtshofs (Tolksdorf, ZIP 2021, 2049)

Mit seinem unter dem Namen „Lexfox“ bekannt gewordenen Urteil hat der VIII. Zivilsenat des BGH in den Worten der Pressemitteilung des Gerichts „eine Grundsatzentscheidung dazu getroffen, welche Tätigkeiten einem Unternehmen aufgrund einer Registrierung als Inkassodienstleister nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz erlaubt sind.“ ) Wer aufgrund dieser Ankündigung in dem Urteil nach Maßstäben sucht, anhand derer die Zulässigkeit neuer Geschäftsmodelle in einem veränderten Inkassodienstleistungsmarkt verlässlich beurteilt werden kann, wird in seinen Erwartungen eher enttäuscht sein. Die auf den Umfang der Inkassoerlaubnis bezogenen rechtsgrundsätzlichen Ausführungen der Entscheidung enthalten zwar eine Reihe dankenswerter Klarstellungen, verbleiben aber insgesamt eher im Vagen und werfen neue grundsätzliche Fragen auf.

I.  Unmittelbarer Gegenstand der Lexfox-Entscheidung und ihre grundsätzliche Bedeutung
II.  Die entscheidungstragenden rechtsgrundsätzlichen Ausführungen des Lexfox-Urteils
III.  Die Grundsätze der Lexfox-Entscheidung zum Umfang der Inkassodienstleistungsbefugnis und ihre Konsequenzen für das Lexfox-Geschäftsmodell

1.  Die Grundsätze
2.  Anwendung der Grundsätze auf das im Lexfox-Verfahren konkret in Rede stehende Geschäftsmodell
IV.  Notwendige Klarstellungen durch das Lexfox-Urteil auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung
1.  Rechtsberatung und Rechtsprüfung
2.  Erfolgshonorar und Übernahme der Kosten im Falle erfolgloser Beitreibungsbemühungen
3.  § 4 RDG
4.  Das Argument des unerträglichen Wertungswiderspruchs
V.  Zu den neuen Erkenntnissen des Lexfox-Urteils für die Beurteilung der Zulässigkeit von Dienstleistungen registrierter Inkassodienstleister
1.  Der Begriff der Inkassodienstleistung
1.1  “Auslegung“ des Begriffs durch das Lexfox-Urteil
1.2  Verbleibende Zweifel und offene Fragen
1.2.1  Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung aller Tätigkeiten
1.2.2  Das verstörend häufige „(noch) Inkassodienstleistung“
1.2.3  Inkassodienstleistung nur bei gesetzmäßiger Erbringung?
1.2.4  Zur Zulässigkeit von Tätigkeiten, die als solche nicht Rechtsdienstleistungen sind, aber auch nicht der Einziehung von Forderungen dienen
1.2.5  Fehlende Sachkunde
2.  Gesamtbetrachtung – Leitbild des Inkassogeschäfts
2.1  Keine eindeutige Festlegung im Lexfox-Urteil
2.2  Unzulässigkeit von an Inkassoleitbildern orientierten Gesamtbetrachtungen
VI.  Zusammenfassung


I.  Unmittelbarer Gegenstand der Lexfox-Entscheidung und ihre grundsätzliche Bedeutung

In seinem Ende 2019 ergangenen – unter den Namen „Lexfox“ oder auch „wenigermiete.de I“ bekannt gewordenen – Urteil hat sich der BGH erstmals mit der Frage der Zulässigkeit des sogenannten Legal-Tech-Inkassos befasst. Gegenstand der Entscheidung war das Inkasso einer Mietrückzahlungsforderung nach dem sogenannten „Mietpreisbremsengesetz“. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hatte das klagende, als Inkassodienstleister registrierte Unternehmen, dem ein Mieter seine Ansprüche zur Einziehung abgetreten hatte, mit seinen Leistungen die Grenzen seiner Inkassoerlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG überschritten. Ausgehend davon hat das Gericht den Inkassovertrag und die Abtretung gem. § 3 RDG i. V. m. § 134 BGB als nichtig angesehen und die Klage mangels Aktivlegitimation des Unternehmens abgewiesen. Der aufgrund seiner Zuständigkeit für das Wohnraummietrecht im Revisionsverfahren mit der Sache befasste VIII. Zivilsenat des BGH hat das Berufungsurteil mit der Begründung aufgehoben, dass sämtliche Tätigkeiten des Unternehmens von seiner Inkassoerlaubnis gedeckt gewesen seien und dieses nicht gegen §§ 3, 4 RDG verstoßen habe.

Das Urteil hat eine bemerkenswerte Resonanz im Schrifttum erzeugt. Diese erklärt sich aus der Bedeutung, die der Entscheidung – ungeachtet ihres eher unscheinbaren Verfahrensgegenstands – für die Fortentwicklung der Rechtsprechung (und die Gesetzgebung) zum Inkassodienstleistungsrecht zukommt. In diesem Rechtsgebiet ist seit geraumer Zeit namentlich die Zulässigkeit des Sammelklage-Inkassos als einer Form des kollektiven Rechtsschutzes umstritten. Die Frage, ob registrierte Inkassounternehmen sich die Ansprüche von massenhaft Geschädigten gegen das schädigende Unternehmen zur Einziehung abtreten lassen dürfen, um sie gebündelt – im Wege der Anspruchshäufung – gerichtlich geltend zu machen, betrifft zwar eine augenscheinlich andere Konstellation als die im Lexfox-Verfahren zur Prüfung gestellte. Dessen Relevanz für die Beurteilung des Sammelklageinkassos ist aber unübersehbar und dem Senat offensichtlich bewusst gewesen. Dieses Geschäftsmodell ist inzwischen bereits Gegenstand mehrerer landgerichtlicher Entscheidungen geworden. Die mit ihm befassten Zivilkammern haben seine Vereinbarkeit mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz, obwohl sie sich jeweils darauf berufen, dass ihre Entscheidung vom Lexfox-Urteil vorgegeben sei oder mit ihm jedenfalls im Einklang stehe, konträr beurteilt. Die angestrebte Vereinheitlichung der Rechtsprechung hat das Lexfox-Urteil mithin nicht bewirken können. Der Weg zu dieser wird aber durch das erst vor Kurzem ergangene AirDeal-Urteil des II. Zivilsenats gewiesen. Nach dessen Verkündung sollte außer Zweifel stehen, dass das Sammelklage-Inkasso – jedenfalls im Grundsatz – zulässig ist. Diese Entscheidung, die nach der Fertigstellung des Manuskripts zu diesem Beitrag ergangen ist und deshalb im Folgenden im Wesentlichen nur in den Fußnoten berücksichtigt werden kann, baut indessen so gut wie nicht auf dem als Grundsatzentscheidung verfassten Lexfox-Urteil des VIII. Zivilsenats auf. Für eine Reihe von Detailfragen, zu denen der II. Zivilsenat nicht Stellung nehmen musste, weil das von ihm zu beurteilende Sammelklage-Inkasso-Modell angesichts des konkreten Geschäftsgegenstands und der Vertragsgestaltung dazu keinen Anlass gegeben hat, dürften die grundsätzlichen Erkenntnisse des VIII. Zivilsenats deshalb durchaus relevant bleiben.

II.  Die entscheidungstragenden rechtsgrundsätzlichen Ausführungen des Lexfox-Urteils
Die rechtsgrundsätzlichen Ausführungen des Lexfox-Urteils gliedern sich in zwei Teile.

Gegenstand des ersten Teils ist eine Untersuchung zur Reichweite des in § 3 RDG enthaltenen Verbots und zu den Folgen eines Verstoßes (ab II. 2. c) der Entscheidungsgründe, Rz. 42 ff.). Nach Ansicht des Senats kann, wie er unter ausführlicher Auseinandersetzung mit der von ihm abgelehnten Gegenposition ) darlegt, auch der registrierte Inkassodienstleister beim Inkasso von Forderungen – mit der Folge der Nichtigkeit des Inkassovertrags und der Abtretung – dem Verbot des § 3 RDG zuwider handeln. Ein Verstoß gegen die Vorschrift liegt danach vor, wenn der Inkassovertrag wegen der angebotenen Leistungen oder des sonstigen Vertragsinhalts auf einen Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz oder ein anderes Gesetz gerichtet ist und der Dienstleister seine Inkassoerlaubnis dadurch überschreitet. Ausgenommen sind nur Fälle absolut geringfügiger Überschreitungen der Erlaubnis. Die Nichtigkeit des Vertrags bewirkt der Verstoß aber nur dann, wenn die Inkassodienstleistungsbefugnis durch ihn eindeutig und nicht nur geringfügig überschritten wird (Rz. 90 – 92).

Im zweiten Teil seiner rechtsgrundsätzlichen Ausführungen (ab II. 2 d) der Entscheidungsgründe, Rz. 97 ff.) entwickelt der VIII. Zivilsenat die Maßstäbe für die Beurteilung, ob ein Inkassogeschäftsmodell mit den angebotenen Leistungen und den vereinbarten Vertragsbedingungen gesetzeskonform ist. In Anwendung dieser Grundsätze gelangt er zu dem schon mitgeteilten Ergebnis, dass das Lexfox-Geschäftsmodell die Inkassoerlaubnis nicht überschreitet.

Daraus folgt, dass es sich bei den Erwägungen zur Reichweite des in § 3 RDG geregelten Verbots, was durch den Urteilsaufbau ein wenig verdeckt wird, lediglich um ein „obiter dictum“ handelt. Auf die Frage, ob das Lexfox-Unternehmen bei Vorliegen einer Gesetzeswidrigkeit gegen § 3 RDG verstoßen hätte und ob ein solcher Verstoß genügend schwerwiegend und eindeutig gewesen wäre, um die Nichtigkeit des Vertrags und der Abtretung zu bewirken, kommt es nicht an. Mit ihr hat sich der Senat dementsprechend auch nicht befasst.

In diesem Beitrag sollen nur die entscheidungstragenden Erwägungen zum Umfang der Inkassoerlaubnis näher betrachtet werden. Das bedeutet nicht, dass die nur beiläufig geäußerte Auffassung zur Bedeutung von § 3 RDG für registrierte Inkassodienstleister über jeden Zweifel erhaben wäre und ihr nur zugestimmt werden könnte.

III.  Die Grundsätze der Lexfox-Entscheidung zum Umfang der Inkassodienstleistungsbefugnis und ihre Konsequenzen für das Lexfox-Geschäftsmodell

1.  Die Grundsätze
Für die Beurteilung, ob sich die Tätigkeit eines registrierten Inkassodienstleisters „innerhalb seiner Inkassodienstleistungsbefugnis gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG bewegt oder ob sie diesen überschreitet“, lassen sich nach Auffassung des Senats „keine allgemeingültigen Maßstäbe“ aufstellen“ (Rz. 100). Erforderlich ist danach vielmehr – zusammengefasst – eine „am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes“ orientierte Würdigung der Umstände des Einzelfalles“, bei der die auf Deregulierung und Liberalisierung gerichtete Zielsetzung des Gesetzes und ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 13.10.2021 12:07
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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