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BGH v. 8.7.2021 - IX ZR 121/20

Konkludente Ermächtigung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter zur Fortsetzung schuldbefreiender Zahlungen an einen Dritten

Eine Ermächtigung durch den starken vorläufigen Insolvenzverwalter zur Fortsetzung schuldbefreiender Zahlungen an einen Dritten, die auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Schuldner und einem Drittschuldner beruhen, kann darin zu erblicken sein, dass der Verwalter die Geschäftsbeziehung mit dem Drittschuldner fortsetzt, ohne Abstand von der vertraglichen Vereinbarung zu nehmen. Die Zahlung an einen Dritten hat schuldbefreiende Wirkung, wenn die Masse dadurch von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe zu begleichen hätte.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 13.12.2013 am 1.2.2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A-GmbH (Schuldnerin). Er verlangt von der Beklagten restliche Arbeitnehmerüberlassungsvergütung. Die Schuldnerin war als Verleiherin auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung tätig. Mit der Beklagten als Entleiherin verband sie ein im Februar/März 2013 geschlossener Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, auf dessen Grundlage die Schuldnerin und die Beklagte in fortgesetzter Geschäftsbeziehung standen. Unter § 5 sah der Vertrag folgende Regelungen vor:

"(1) Die Arbeitnehmerüberlassungsvergütung wird mit Zugang der Rechnung fällig. Der Auftraggeber gerät in Verzug, wenn der Rechnungsbetrag nicht innerhalb von 30 Kalendertagen ab Zugang der Rechnung auf dem Geschäftskonto des Personaldienstleisters eingeht.
(2) Die Zahlung der Rechnungen erfolgt 30 Tage nach Eingangsdatum, abzgl. 30 % des Rechnungsnettobetrages, welche an die vom Personaldienstleister gewählte Krankenkasse überwiesen werden."

Mit Beschluss vom 17.12.2013 erlegte das Insolvenzgericht der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auf und bestellte den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Unter Vorlage dieses Beschlusses wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 19.12.2013 an die Beklagte und teilte mit, dass der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin weitergeführt werde. Er bat, Zahlungen auf von ihm eingerichtete Konten vorzunehmen.

Für Arbeitnehmerüberlassungen in der Zeit vom 27.11.2013 bis zum 31.1.2014 stellte die Schuldnerin der Beklagten insgesamt rd. 209.000 € in Rechnung. Die Beklagte überwies ab dem 17.1.2014 bis zum 21.3.2014 in mehreren Einzelbeträgen rd. 156.000 € auf die vom Kläger eingerichteten Konten und rd. 53.000 € an ihre Streithelferin, die von der Schuldnerin gewählte Einzugsstelle für Sozialversicherungsbeiträge. Der Kläger forderte die Streithelferin zur Auskehr der an sie gezahlten Beträge auf. Dem kam die Streithelferin in Höhe von rd. 2.600 € nach. In Höhe des überschießenden Betrags von rd. 50.000 € nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung in Anspruch.

Das LG gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten ermäßigte das OLG den zu zahlenden Betrag auf rd. 26.000 € nebst Zinsen und wies die Klage im Übrigen ab. Auf die Revision der Beklagten reduzierte der BGH den zu zahlenden Betrag auf rd. 25.000 €. Die weitergehenden Rechtsmittel der Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers hatten keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Revision der Beklagten betrifft die nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung vorgenommenen Zahlungen, denen das OLG im Gegensatz zu den davor geleisteten Zahlungen keine Erfüllungswirkung beigemessen hat. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg. Das OLG hat jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Streithelferin einen Betrag i.H.v. rd. 2.600 € an die Masse erstattet hat, der anteilig auf die Zahlungen nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung anzurechnen sind. Nur insoweit hat die Revision Erfolg.

Die nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung vorgenommenen Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin haben die streitgegenständlichen Vergütungsansprüche aus den Arbeitnehmerüberlassungen nicht erfüllt. Nach Maßgabe von § 82 Satz 1 InsO ist die Beklagte weiterhin zur Zahlung verpflichtet, soweit nicht die von der Streithelferin an die Masse erstatteten 2.600 € anzurechnen sind. In Anwendung des Maßstabs des § 82 InsO ist die Beklagte hier durch die Zahlungen an die Streithelferin nach Kenntnisnahme ihres Geschäftsführers von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin von ihrer Leistungspflicht gegenüber der Masse nur in der Höhe (nachträglich) frei geworden, in der die von der Streithelferin erstatteten 2.600 € anzurechnen sind. Den Zahlungen der Beklagten an die Streithelferin kommt nicht aufgrund einer Einwilligung oder Genehmigung des Klägers befreiende Wirkung zu. Es ist nicht von einer Genehmigung auszugehen. Für die hier fraglichen Zahlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin liegt auch keine Einwilligung vor:

Als starker vorläufiger Verwalter hatte der Kläger im Grundsatz das schuldnerische Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO). Auf den Fortbestand der von der Schuldnerin geschlossenen Verträge hatte die vorläufige Verwaltung keinen Einfluss. Vom Fortbestand umfasst war allerdings nicht die aus § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags folgende Erfüllungsübernahme oder Ermächtigung zur befreienden Leistung an die Streithelferin. Erfüllungsübernahme oder Ermächtigung gerieten mit dem Übergang der Verfügungsbefugnis auf den Kläger ebenso in Wegfall wie die Empfangszuständigkeit der Schuldnerin an sich. Aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers hat allerdings der Kläger die Befugnis der Beklagten zur befreienden Leistung an die Streithelferin neu begründet. Dies ergibt die Auslegung des Schreibens des Klägers vom 19.12.2013.

Mit dem Schreiben hat sich der Kläger in seiner Eigenschaft als starker vorläufiger Verwalter an die Beklagte gewandt und mitgeteilt, dass die (Leih-)Arbeitnehmerschaft dank einer Vorfinanzierung der Löhne weiterhin zur Verfügung stehe und der Geschäftsbetrieb unter seiner Aufsicht fortgeführt werde. Damit hat er der Beklagten eine Fortsetzung der bestehenden Geschäftsbeziehung angeboten, ohne Abstand von der Grundlage der bisherigen Zusammenarbeit dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zu nehmen. Aus Sicht der Beklagten war das Angebot demnach im Sinne einer Fortsetzung der Geschäftsbeziehung zu den bisherigen Bedingungen zu verstehen. Dies beinhaltete die in § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags enthaltene Berechtigung zur schuldbefreienden Leistung an die Streithelferin. Dieser Auslegung des Schreibens vom 19.12.2013 steht nicht entgegen, dass der Kläger die Beklagte zugleich zur Zahlung auf von ihm eingerichtete Konten aufgefordert hat. Die Beklagte durfte die Aufforderung des Klägers auf den nach § 5 Abs. 2 des Arbeitnehmerüberlassungsvertrags direkt an die Schuldnerin und nunmehr an den Kläger abzuführenden Forderungsteil beziehen.

Aus der Sicht der Beklagten war indes auch erkennbar, dass der Kläger Erklärungen nur im Rahmen der ihm zustehenden Verfügungsbefugnis als starker vorläufiger Verwalter abgeben wollte. Diese Verfügungsbefugnis erlosch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Den nach Kenntniserlangung von der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Schuldnerin erfolgten Zahlungen der Beklagten käme auch nicht befreiende Wirkung zu, wenn durch die Zahlungen vom Kläger in seiner Funktion als starker vorläufiger Verwalter begründete Beitragsschulden gegenüber der Streithelferin getilgt worden wären. Anzurechnen sind jedoch im Ausgangspunkt die von der Streithelferin an die Masse erstatteten Gelder. Der Verwalter kann den Drittschuldner nicht nach Maßgabe von § 82 InsO auf (erneute) Zahlung in Anspruch nehmen, wenn das an den Schuldner oder einen Dritten Geleistete der Masse doch noch zufließt etwa deshalb, weil Schuldner oder Dritter die Leistung an den Verwalter herausgeben. Maßgeblich ist eine wirtschaftliche Betrachtung. Der Leistungsgegenstand muss deshalb nicht in Natur zur Masse gelangen. Es reicht aus, wenn die Masse wirtschaftlich so gestellt wird, wie sie im Fall ordnungsgemäßer Erfüllung der Verbindlichkeit gestanden hätte.
Das ist allerdings nicht schon dann der Fall, wenn die Masse einen Herausgabeanspruch gegen den Empfänger der Leistung hat. Sonst könnte der Drittschuldner den Verwalter stets auf einen etwa vorhandenen Herausgabeanspruch verweisen. Ausreichend ist es hingegen, wenn die Masse durch die Leistung des Drittschuldners von einer Masseverbindlichkeit entlastet wird, die anderenfalls der Verwalter in voller Höhe beglichen hätte. Dies hat der BGH zu § 8 Abs. 1 KO entschieden (BGH v. 12.3.1986 - VIII ZR 64/85). Daran ist festzuhalten, obwohl § 82 InsO im Gegensatz zu § 8 Abs. 1 KO nicht ausdrücklich auf einen Zufluss zur Masse abstellt. § 82 InsO hat die Regelungen des § 8 KO redaktionell verkürzt, jedoch inhaltlich unverändert übernommen.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.09.2021 15:20
Quelle: BGH online

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