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Missbräuchliche Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen - Auswirkungen der neuen EuGH-Rechtsprechung zur Klausel-RL 93/13/EWG auf die Lückenfüllung = gesetzlicher Zinssatz nach § 246 BGB (Gsell/von Westphalen, ZIP 2021, 1729)

Mit Nachdruck stellt sich die Frage, ob die Rechtsprechung des BGH zur ergänzenden Vertragsauslegung gem. § 306 Abs. 2 BGB bei unwirksamen Zinsanpassungsklauseln in langfristigen Prämiensparverträgen im Blick auf die neuen Entwicklungen der EuGH-Rechtsprechung aufrechterhalten werden kann. Verneint man dies aus unionsrechtlichen Gründen, die vorwiegend auch in der Abschreckungswirkung des Art. 6 Abs. 1 der Klausel-Richtlinie 93/13/EWG (ABl 1993 L 95, 29) ihre Wurzeln haben, dann stellt sich die Frage, ob dann nicht anstelle der unwirksamen Zinsvariabilität der gesetzliche Zinssatz von § 246 BGB gilt oder auch der Anfangszinssatz. Sowohl der eine wie der andere Argumentationsstrang wäre von einer gegen die Sparkassen gerichteten Präventionswirkung geprägt, die nach Art. 7 der Klausel-Richtlinie das zwingende Ziel formuliert, dass es Aufgabe der Mitgliedstaaten ist, der weiteren Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein „Ende zu setzen“.

I.  Die BGH-Judikatur
1.  Lückenfüllung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung
2.  Trennung zwischen Preisvariabilität und Zinsanpassungsklausel
3.  Konsequente Fortführung dieser Linie
II.  Die EuGH-Rechtsprechung zur Kontrollfreiheit des Hauptgegenstandes und zum Transparenzgebot
1.  Enges Verständnis der Privilegierung nach Art. 4 Abs. 2
2.  Transparenzkontrolle von Hauptleistungsklauseln
3.  Missbräuchlichkeit intransparenter Klauseln
III.  Bewertung konkreter Zinsklauseln
1.  Intransparenz
2.  Missbräuchlichkeit
3.  Zwischenergebnis
IV.  Folgen für das Schicksal der Prämiensparverträge
1.  Grundlegende europarechtliche Weichenstellung: Durchführbarkeit des Restvertrags?
1.1  Objektiver Maßstab für die Durchführbarkeit des Vertrags – Art. 6 Abs. 1 – zweiter Halbsatz
1.2  Dziubak-Urteil: Wesentliche Änderung einer Hauptleistung genügt zur Begründung mangelnder Durchführbarkeit
1.3  Folgen für Prämiensparverträge
2.  Lückenschließung durch dispositives Gesetzesrecht nur zur Vermeidung einer für den Verbraucher nachteiligen Gesamtnichtigkeit zulässig
2.1  Ständige Rechtsprechung des EuGH
2.2  Zweifel an der Maßgeblichkeit dieser Rechtsprechung nicht durchgreifend
2.3  Folgen für Prämiensparverträge
3.  Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit der Lückenschließung durch ergänzende Vertragsauslegung
3.1  Ständige Rechtsprechung des EuGH: Grundsätzliches Verbot richterlicher Klauselanpassung
3.2  Dziubak-Urteil: Verbot der Schließung von Vertragslücken auf der Grundlage allgemeiner Rechtsvorschriften
3.3  Banca B.-Urteil: Bestätigung von Dziubak, aber Gebot zur Ergreifung aller erforderlichen Maßnahmen zum Schutz des Verbrauchers vor den Nichtigkeitsfolgen
3.4  Bewertung
3.5  Folgen für Prämiensparverträge
V.  Folgerungen für die Auslegung von § 306 Abs. 2 BGB
VI.  Folgerungen für die Auslegung von § 306 Abs. 3 BGB

1.  Gesteigerte Bedeutung (drohender) Gesamtnichtigkeit
2.  Unzumutbarkeit v. objektive Bewertung in Art. 6 Abs. 1 – zweiter Halbsatz –
3.  Europarechtliche geforderte Einseitigkeit zugunsten des Verbrauchers?
VII.  Zusammenfassung


I.  Die BGH-Judikatur

1.  Lückenfüllung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung

Unter Bezugnahme auf den Verbotstatbestand des § 308 Nr. 4 BGB hat der BGH erstmals am 10.6.2008 eine Zinsanpassungsklausel in einem langfristigen Sparvertrag als unwirksam qualifiziert. Solche Klauseln sind weithin gebräuchlich; sie lauten etwa: „Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, z. Zt. 3,5 %, am Ende eines Kalender-/Sparjahres…...“ Oder: „Die Spareinlage wird variabel, z. Zt. mit 3 % verzinst“. Allerdings hat der BGH in seinen Entscheidungen stets die vertraglich vereinbarte Zinsvariabilität als solche nach § 307 Abs. 3 BGB von der richterlichen Inhaltskontrolle ausgenommen. Folglich war die Klausel nur teilweise im Blick auf ihre Komponente als Zinsanpassungsklausel unwirksam. Im Rahmen des daher zur Anwendung berufenen § 306 Abs. 2 BGB hat der BGH – entsprechend den in der Ausgangsentscheidung zur „Tagespreisklausel“ im Kfz-Handel festgelegten Kriterien – die Grundsätze einer ergänzenden Vertragsauslegung nach den §§ 133, 157 BGB für eine neu zu gestaltende Zinsanpassungsklausel bemüht. Die diesem Ansatz zugrunde liegende standardisierte Formel lautete: „Entscheidend ist danach, welche Regelung von den Parteien in Kenntnis der Unwirksamkeit der vereinbarten Zinsänderungsklausel nach dem Vertragszweck und angemessener Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als redliche Vertragspartner gewählt worden wäre.“ Diese Erwägung führte zu einer neuen Zinsanpassungsklausel entsprechend der dem Sparvertrag zugrunde liegenden Zinsvariabilität.

2.  Trennung zwischen Preisvariabilität und Zinsanpassungsklausel
Von fundamentaler Wichtigkeit für das Verständnis der BGH-Judikatur ist, dass danach die Zinsvariabilität, das „Ob“ einer Zinsanpassung in den Bereich der Kontrollfreiheit nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB verlagert wird. Demgegenüber fällt die hiervon strikt zu trennende Zinsanpassungsklausel – das „Wie“ der Preisvariabilität – in den Kontrollbereich des § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB, aber auch in den des § 308 Nr. 4 BGB. Die Begründung: Die Zinsvariabilität steht auf eigenen Füßen. Sie ist, so fügt der BGH hinzu, „weder denknotwendig noch praktisch zwingend mit dem unbeschränkten Zinsanpassungsrecht verknüpft“. Abgestützt auf die Meinung des früheren Vorsitzenden des Bankrechtssenats, Herbert Schimansky, begründet der BGH die Selbständigkeit der Variabilität damit, dass diese ja auch in „Form eines bloßen Anpassungsanspruchs isoliert vereinbart werden“ könne.

3.  Konsequente Fortführung dieser Linie
In der nachfolgenden Entscheidung vom 13.4.2010 setzte der BGH den eingeschlagenen Weg konsequent fort. Doch ging er gleichzeitig einen Schritt weiter: Er legte verbindlich fest, dass es im Rahmen der vom Gericht nach § 306 Abs. 2 BGB durchzuführenden ergänzenden Vertragsauslegung Sache des Gerichts ist, selbst die maßgeblichen Änderungsparameter für die neue Zinsanpassungsklausel zu bestimmen. Der neue Zinssatz ist in sachlicher und zeitlicher Hinsicht so zu wählen, dass dieser „dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit von Zinsänderungen genügt“. Klarstellend fügte der BGH hinzu, dass es sich – wie stets bei Anwendung des § 306 Abs. 2 BGB – um eine „im Interesse der Rechtssicherheit“ vorzunehmende „allgemeinverbindliche ergänzende Vertragsauslegung“ handelt. Diese Aussage verfestigte der BGH in der nachfolgenden Entscheidung vom 21.12.2010 dahin, dass der so auszuwählende Referenzzinssatz „jeweils für sich die Zinsentwicklung des konkreten Sparvertrags möglichst weitgehend abbilden“ soll. In Fortführung dieses Urteils und der so begründeten inhaltlichen Konkretisierung des jeweiligen Sparvertrags hob der BGH in seiner Entscheidung vom 14.3.2017 hervor, dass es sich bei der ergänzenden Vertragsauslegung und der so zu schaffenden neuen Zinsvariabilität darum handelt, in sachlicher und zeitlicher Hinsicht eine Lösung zu finden, welche dem „mutmaßlichen Parteiwillen“ entspricht, was auch eine entsprechende Beweisaufnahme einschließen kann.

II.  Die EuGH-Rechtsprechung zur Kontrollfreiheit des Hauptgegenstandes und zum Transparenzgebot
Als erstes ist die Rechtsprechung des EuGH zur unionsrechtlichen Kontrollfreiheit des „Hauptgegenstandes des Vertrages“ und zum Transparenzgebot näher ins Auge zu fassen, das nach der Vorgabe von Art. 4 Abs. 2 die Kontrollfreiheit des „Hauptgegenstandes des Vertrages“ unter den Vorbehalt stellt, dass die betreffende Klausel ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.09.2021 10:19
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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