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Europarechtliche Trennlinien zwischen übernahmerechtlichen Aufsichts- und Bußgeldverfahren (Mock/Fuhrmann, ZIP 2021, 1633)

Mit der Einleitung zweier Vorabentscheidungsverfahren durch das österreichische Bundesverwaltungsgericht (fortan BVwG) wird die für das gesamte europäische Kapitalmarktrecht bedeutsame Frage nach der Bindungswirkung von Feststellung in einem (übernahmerechtlichen) Aufsichtsverfahren in einem späteren Bußgeldverfahren unter anderem im Kontext der europäischen Justizgrundrechte auf den Prüfstand gestellt. Diese Vorabentscheidungsverfahren dürften vor allem für die Sanktionierung von Organmitgliedern mit Mitteln des Ordnungswidrigkeitsrecht von erheblicher Bedeutung sein und einen zentralen Baustein im entstehenden europäischen Kapitalmarktrecht darstellen.

I.  Einleitung
II.  Vorabentscheidungsersuchen des BVwG als Ausgangspunkt
1.  Ausgangssachverhalt
2.  Einleitung von Verwaltungsstrafverfahren
2.1  Verwaltungsstrafverfahren gegen die Organmitglieder
2.2  Verwaltungsstrafverfahren gegen die beteiligten Gesellschaften (acting in concert)
3.  Vorlagen an den EuGH
3.1  Bindungswirkung des Feststellungsbescheids bei Verwaltungsstrafverfahren gegen die Organmitglieder
3.2  Zuständigkeit für Verwaltungsstrafen gegen beteiligte Gesellschaften bei Verletzung der Vorschriften zur Beteiligungspublizität
4.  Schlussanträge des Generalanwalts Bobek
III.  Europarechtlicher Rahmen
1.  Vorgaben für die zuständigen Behörden
2.  Verhältnis von Übernahme- und Transparenzrichtlinie
3.  Art. 47 GRC (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht)
4.  Zwischenergebnis
IV.  Wechselwirkungen zwischen Aufsichts- und Verwaltungsstrafverfahren im österreichischen Übernahmerecht
1.  Übernahmekommission als kapitalmarktrechtliche Sonderbehörde
2.  Feststellungsbescheide im österreichischen Übernahmerecht (§§ 26b, 33 ÜbG)
3.  Verhängung von Verwaltungsstrafen durch die Übernahmekommission und die FMA
3.1  Parallele Kompetenz zur Verhängung von Verwaltungsstrafen für die FMA und die Übernahmekommission
3.2  Kreis der möglichen Adressaten einer Verwaltungsübertretung
3.3  Bindungswirkungen zwischen Aufsichts- und Verwaltungsstrafverfahren
4.  Rechtsschutzmöglichkeiten
V.  Wechselwirkungen zwischen Aufsichts- und Bußgeldverfahren im deutschen Übernahmerecht
1.  BaFin als allein zuständige Behörde im Aufsichts- und Bußgeldverfahren
2.  (Keine) Kompetenz der BaFin zur (einfachen) Feststellung von Verstößen gegen übernahmerechtliche Ge- und Verbote
3.  Verhängung von Bußgeldern durch die BaFin
3.1  Kreis der möglichen Täter einer Ordnungswidrigkeit
3.2  Keine Bindungswirkungen zwischen Aufsichts- und Bußgeldverfahren
3.4  Keine Bindungswirkungen zwischen mehreren Bußgeldverfahren gegen juristische Personen und ihre Organmitglieder
4.  Rechtsschutzmöglichkeiten
VI.  Fazit


I.  Einleitung

Das deutsche Übernahmerecht kann – wie nahezu jede kapitalmarktrechtliche Regelungsmaterie – nicht allein einem Rechtsgebiet zugeordnet werden. So enthält das WpÜG als Kernregelung des deutschen Übernahmerechts zahlreiche zivilrechtliche Regelungen im Verhältnis Zielgesellschaft, Bieter, Aktionäre und Organmitglieder. Zudem nimmt das WpÜG auch eine umfangreiche Aufgabenzuweisung an die BaFin vor und regelt deren verwaltungsrechtliche und damit öffentlich-rechtliche Kompetenzen. Schließlich enthält § 60 WpÜG eine ganze Reihe von Ordnungswidrigkeitstatbeständen, womit das Übernahmerecht auch das Strafrecht berührt. Dabei ist bisher kaum untersucht worden, inwiefern behördliche oder gerichtliche Feststellungen im Kontext eines Rechtsgebiets auch Bindungswirkung in den jeweils anderen Rechtsgebieten entfalten können. Besonders relevant ist dies für das Aufsichts- und das Bußgeldverfahren, da im Aufsichtsverfahren oft nur der Bieter oder die Zielgesellschaft – meist als juristische Person – beteiligt ist, während sich das Bußgeldverfahren meist (auch) gegen die jeweils handelnden Organmitglieder richtet. Dieser Komplex erlangt aufgrund zwei vor dem EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren, ) die durch das österreichische Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wurden, besondere Bedeutung, wird damit doch eine Grundfrage des europäischen Kapitalmarktrechts angesprochen, bei der vor allem auch die (europäischen) Justizgrundrechte eine große Rolle spielen. Der nachfolgende Beitrag geht diesen Fragen nach und beleuchtet insbesondere die Auswirkungen auf das deutsche Übernahmerecht.

II.  Vorabentscheidungsersuchen des BVwG als Ausgangspunkt
Die Vorabentscheidungsverfahren wurden durch das BVwG am 16.8.2018 ) und 25.9.2018 ) eingeleitet und basieren beide auf folgendem Sachverhalt.

1.  Ausgangssachverhalt
Die österreichische Übernahmekommission erließ am 22.11.2016 einen Feststellungsbescheid gegen mehrere Gesellschaften (zwei AGs und zwei LLPs) und eine natürliche Person, mit dem festgestellt wurde, dass diese Personen gemeinsam – im Rahmen eines acting in concert (§§ 1 Nr. 6, 23 österreichisches Übernahmegesetz [fortan ÜbG]) – eine kontrollierende Beteiligung an einer anderen (börsennotierten) Aktiengesellschaft erlangt hatten, ohne eine Pflichtangebot abzugeben, obwohl dies nach § 22 Abs. 1 ÜbG erforderlich gewesen wäre. Gegen diesen Feststellungsbescheid legten die betroffenen Gesellschaften und die natürliche Person das Rechtsmittel des Rekurses ein, für das nach § 30a ÜbG der Oberste Gerichtshof (OGH) zuständig ist, der allerdings nur auf die Klärung von Rechtsfragen beschränkt ist (§ 66 Abs. 2 AußStrG). ) Der OGH wies den Rekurs im März 2017 zurück, womit der Feststellungsbescheid rechtskräftig wurde.

2.  Einleitung von Verwaltungsstrafverfahren
Im Anschluss daran leiteten sowohl die Übernahmekommission (siehe 2.1) als auch die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) (siehe 2.2) Verwaltungsstrafverfahren ein, in denen mehrere Geldstrafen verhängt wurden.

2.1  Verwaltungsstrafverfahren gegen die Organmitglieder
Die Übernahmekommission verhängte am 29.1.2018 mehrere Verwaltungsstrafen nicht nur gegen die natürliche Person, die auch Adressat des Feststellungsbescheids war, sondern zusätzlich auch gegen ein Vorstandsmitglied und einen director der vom Feststellungsbescheid betroffenen Gesellschaften; zudem verpflichtete die Übernahmekommission die jeweiligen Gesellschaften zur akzessorischen Haftung. Rechtsgrundlage dafür war § 35 ÜbG, der die Übernahmekommission zur Verhängung von Verwaltungsstrafen bei Verstößen gegen das ÜbG ermächtigt. Für den Tatbestand stützte sich die Übernahmekommission dabei auf den von ihr ca. 1,5 Jahre zuvor erlassenen Feststellungsbescheid und machte geltend, dass dieser – obwohl die Gesellschaften dessen Adressaten waren – auch gegenüber dem Vorstandsmitglied und dem director Bindungswirkung habe. Gegen diese Straferkenntnisse legten die Betroffenen Beschwerden ein, für die nach § 35 Abs. 3 ÜbG das BVwG zuständig ist und die Straferkenntnisse in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht überprüfen kann (§ 28 i.V.m. § 46 Abs. 1 i. V. m. § 50 VwGVG).

2.2  Verwaltungsstrafverfahren gegen die beteiligten Gesellschaften (acting in concert)
Die FMA verhängte am 29.6.2018 Verwaltungsstrafen gegen die beteiligten Gesellschaften sowie eine natürliche Person, denen die Übernahmekommission in diesem Zusammenhang ein acting in concert im Rahmen des Feststellungsbescheids vorgeworfen hatte. Die Verwaltungsstrafe wurde auf §§ 92 Nr. 7, 95a Abs. 1 Nr. 2 BörseG 1989 (heute § 133 Nr. 4 BörseG) gestützt, wonach eine Pflicht zu einer Stimmrechtsmitteilung bei einem Kontrollerwerb an einer anderen (börsennotierten) Aktiengesellschaft – bei einem übernahmerechtlichen acting in concert – besteht. Dabei stützte sich die FMA vollumfänglich auf den Feststellungsbescheid der Übernahmekommission. Die Betroffenen legten gegen diese Straferkenntnisse Beschwerde ein, für die nach § 22 Abs. 2a FMABG das BVwG zuständig ist.

3.  Vorlagen an den EuGH
Das BVwG hatte in beiden Beschwerdeverfahren allerdings verschiedene Zweifel und entschied sich in beiden Verfahren zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH.

3.1  Bindungswirkung des Feststellungsbescheids bei Verwaltungsstrafverfahren gegen die Organmitglieder
Im Verwaltungsstrafverfahren gegen die Organmitglieder äußerte das BVwG Zweifel an einer Bindungswirkung des Feststellungsbescheids gegenüber dem Vorstandsmitglied und dem director, da der Feststellungsbescheid und die Straferkenntnisse nicht gegenüber den gleichen Personen ergangen waren. Auch wenn es sich insofern um eine Frage des Verwaltungsverfahrens- bzw. des Verwaltungsstrafverfahrensrechts handelte, legte das BVwG dem EuGH insgesamt vier Fragen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vor. Dabei geht es im Wesentlichen um ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.08.2021 10:05
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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