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Vertragsstrafenhöhe und AGB-rechtliche Inhaltskontrolle (Leuschner, ZIP 2021, 1471)

Weil zwischen Unternehmen vereinbarte Vertragsstrafen nahezu immer AGB-Charakter haben, unterliegt deren Höhe im Streitfall meist der richterlichen Überprüfung auf Grundlage der §§ 307 ff. BGB. Der vom BGH insoweit angelegte Maßstab ist äußerst streng und führt häufig zur Gesamtnichtigkeit des Vertragsstrafeversprechens. Indem sich die Richter bei der Beurteilung der Strafhöhe primär daran orientieren, welchen Schaden die pönalisierte Pflichtverletzung nach sich zieht, tragen sie der die Vertragsstrafe prägenden Druckfunktion unzureichend Rechnung und gleichen die Vertragsstrafe im Ergebnis einer Schadenspauschale an. Der vorliegende Beitrag plädiert für eine Neuausrichtung der Angemessenheitsprüfung, die die Druckfunktion in den Mittelpunkt stellt. Zugleich enthält er Vorschläge für die Rechtspraxis zum Umgang mit dem auf Grundlage der geltenden Rechtsprechung bestehenden Unwirksamkeitsrisiko.


I. Einleitung

II. Grundlagen

1. Charakteristika der Vertragsstrafe und Abgrenzung zur Schadenspauschale

2. AGB-Charakter von Vertragsstrafen

3. Maßstab und zeitlicher Anknüpfungspunkt der Inhaltskontrolle

4. Folgen unangemessen hoher Vertragsstrafen

III. Maßstäbe der Rechtsprechung

1. Allgemeine Maßstäbe

2. Gewinnaufzehrungsverbot bei zeitabhängigen Vertragsstrafen

3. Besonderheiten wettbewerbs- und schutzrechtlich veranlasster Vertragsstrafeversprechen (Haus & Grund-Entscheidung des BGH)

4. Kritik

IV. Kriterien für die Angemessenheitsprüfung

1. Wertungsgesichtspunkte

1.1 Vorteil des Vertragsverstoßes

1.2 Bedeutung der pönalisierten Pflicht für den Gläubiger

1.3 Folgen der Vertragsstrafe für den Schuldner

2. Differenzierungsgebot

3. Risikobegrenzungsgebot

V. Praxisempfehlung

1. Ökonomische Analyse des Unwirksamkeitsrisikos

2. Nachträgliche einseitige Bestimmung der Strafhöhe (sog. neuer Hamburger Brauch)

VI. Zusammenfassung


I. Einleitung

Vertragsstrafen sind im unternehmerischen Rechtsverkehr äußerst verbreitet. Das gilt für nahezu sämtliche Wirtschaftsbereiche. Nur beispielhaft verwiesen sei auf den Einsatz von Vertragsstrafen im Bereich des Gebäude- und Anlagenbaus, wo sie vor allem der Sanktionierung von Verzögerungen bei der Leistungserbringung dienen. Beliebt sind Vertragsstrafen aber auch als Mittel, um den Vertragspartner zur Einhaltung bestimmter Qualitätsstandards anzuhalten. Erwähnt seien sog. Service-Level-Agreements im IT-Bereich oder Soll-Pünktlichkeitswerte bei den Verkehrsverträgen des Schienenpersonennahverkehrs. Eine herausragende Rolle spielen Vertragsstrafen zudem im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts, wo sie dazu dienen, der Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen Nachdruck zu verleihen.

Wird eine Vertragsstrafe „verwirkt“ (vgl. § 339 BGB), d. h. es treten die Umstände ein, die den Gläubiger berechtigen, die Vertragsstrafe zu fordern, entsteht oft Streit über die Angemessenheit der vereinbarten Strafhöhe. § 348 HGB deutet zwar darauf hin, dass ein Kaufmann für die Höhe der von ihm versprochenen Vertragsstrafe selbst verantwortlich ist. Denn hiernach findet im kaufmännischen Verkehr § 343 BGB, welcher dem Richter die Herabsetzung einer unverhältnismäßig hohen Vertragsstrafe gestattet, keine Anwendung. Weil aber Vertragsstrafen nahezu immer den Charakter von AGB haben (sogleich unter II 2) und die Anwendbarkeit der §§ 307 ff. BGB durch § 348 HGB nicht ausgeschlossen ist, unterliegt die Vertragsstrafenhöhe in der Praxis letztlich doch nahezu immer der Inhaltskontrolle. Der dabei von der Rechtsprechung angelegte Maßstab ist so streng, dass sich die Frage stellt, ob der sinnvolle Einsatz von Vertragsstrafen überhaupt noch möglich ist. Der nachfolgende Beitrag unterzieht diese Rechtsprechung einer kritischen Betrachtung und schlägt Kriterien für eine zweckmäßige Angemessenheitskontrolle der Vertragsstrafenhöhe vor.

II. Grundlagen

1. Charakteristika der Vertragsstrafe und Abgrenzung zur Schadenspauschale


Vertragsstrafen sind vertraglich begründete, aufschiebend bedingte, in der Regel auf Geld gerichtete Verpflichtungen des Schuldners, die entstehen, sobald dieser eine in Bezug genommene Leistungspflicht verletzt. Gesetzlich geregelt ist die Vertragsstrafe in den §§ 339 ff. BGB sowie in § 348 HGB. Charakteristikum der Vertragsstrafe ist die Druckfunktion: Durch das Inaussichtstellen der Vertragsstrafe soll der Schuldner angehalten werden, sich vertragskonform zu verhalten. Eine zusätzliche Aufgabe der Vertragsstrafe kann – muss aber nicht – darin bestehen, (...)



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.07.2021 15:06
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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