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Sanierungsprivilegien im Insolvenzanfechtungsrecht nach dem StaRUG (Schoppmeyer, ZIP 2021, 869)

Das Anfechtungsrecht hat ein wenig seine Mitte verloren, wie nicht zuletzt die wiederholten Ansätze des Gesetzgebers zeigen, das Anfechtungsrecht zu ändern. Einzelne Stimmen bemerken ein deutsches Anfechtungsfieber. Mit den §§ 89 bis 91 StaRUG will der Gesetzgeber für das Restrukturierungsrecht klarstellende Regelungen schaffen. Ein Sanierungsprivileg bewegt sich im Spannungsfeld zwischen ökonomisch effizienter Anreizsetzung und zentralen insolvenzrechtlichen Prinzipien, namentlich der Gläubigergleichbehandlung. Daher ist es besonders wichtig, sich die unterschiedlichen Wertungen vor Augen zu führen, die die einzelnen Anfechtungstatbestände prägen. Der Beitrag widmet sich den anfechtungsrechtlichen Fragen des neuen Restrukturierungsrechts.

I.  Der europarechtliche Rahmen
1.  Der Schutz der Geldgeber
1.1  Überblick
1.2  Einzelheiten
2.  Der Schutz des Restrukturierungsplans
II.  Die Umsetzung im StaRuG
1.  Umsetzungsbedarf
1.1  Meinungsstand
1.2  Anfechtungsrisiken im Sanierungsfall nach dem Stand der Rechtsprechung
1.2.1  Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung
1.2.2  Antworten der Rechtsprechung auf Anfechtungsrisiken bei Sanierungsversuchen
1.2.2.1  Sanierungsversuch
1.2.2.2  Bargeschäftsähnliche Lage
1.2.2.3  Einschränkungen der Deckungsanfechtung (§§ 130 bis 132 InsO)?
2.  Überblick über die Regelungen des StaRUG
III.  Die Sonderregeln im einzelnen
1.  § 89 Abs. 1 StaRUG
1.1  Betroffene Anfechtungstatbestände
1.2  Welche Art Rechtshandlungen erfasst § 89 Abs. 1 StaRUG?
1.3  Rechtliche Wirkung
1.3.1  Allgemein
1.3.2  Erfasste Tatsachen
1.3.3  Beseitigung der Indizwirkung oder Einschränkung der richterlichen Beweiswürdigung?
1.4  Rechtshandlungen im Vorfeld und zur Vorbereitung eines Restrukturierungsverfahrens
2.  § 89 Abs. 2 StaRUG
2.1  Folgen der Norm
2.2  Welche Rechtshandlungen und Fälle sind erfasst?
3.  § 90 Abs. 1 StaRUG
3.1  Betroffene Anfechtungstatbestände
3.2  Welche Rechtshandlungen unterfallen dem Anfechtungsschutz?
3.3  Welchen Zeitraum umfasst der Anfechtungsschutz?
3.3.1 Nachhaltige Restrukturierung
3.3.2 Umstände im Zeitpunkt der Rechtshandlung (§ 140 InsO)
3.4  Unter welchen Voraussetzungen wird der Anfechtungsschutz gewährt?
3.5  Beweislast
3.6  Bestätigung eines Sanierungsvergleichs, § 97 Abs. 3 StaRUG
3.7  Erstreckung auf einen Insolvenzplan?
4.  § 90 Abs. 2 StaRUG
5.  § 91 StaRUG: Die Verlängerung der Anfechtungsfristen
5.1  Beginn der Rechtshängigkeit:
5.2  Ende der Rechtshängigkeit
5.3  Auswirkungen der Verlängerung der Anfechtungsfristen
IV.  Fazit


I.  Der europarechtliche Rahmen

Die Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz (fortan: Restrukturierungsrichtlinie oder ReRL) enthält in Kapitel 4 besondere Vorschriften zur Anfechtung. Die normativen Vorgaben der Restrukturierungsrichtlinie lassen einen großen Spielraum. Art. 17 ReRL regelt den Schutz für neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen. Art. 18 ReRL regelt den Schutz für sonstige Transaktionen im Zusammenhang mit der Restrukturierung.

1.  Der Schutz der Geldgeber

1.1  Überblick

Ein dem Richtliniengeber wichtiges Anliegen ist der Schutz von Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen. Art. 17 Abs. 1 ReRL bestimmt als Mindestvorgabe, dass neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen im Fall einer späteren Insolvenz nicht deshalb für anfechtbar erklärt werden dürfen, weil eine solche Finanzierung die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligt. Die Vorschrift erlaubt jedoch ausdrücklich, eine Anfechtung vorzusehen, wenn zusätzliche im nationalen Recht festgelegte Gründe vorliegen. Insoweit handelt es sich um eine Mindestharmonisierung.

Art. 17 Abs. 2 bis 4 ReRL enthalten Öffnungsklauseln für den nationalen Gesetzgeber. Nach Art. 17 Abs. 2 ReRL kann der Anfechtungsschutz für neue Finanzierungen von der gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans, für Zwischenfinanzierungen von einer (gerichtlichen) ex-ante Kontrolle abhängig gemacht werden. Art. 17 Abs. 3 ReRL erlaubt es dem nationalen Gesetzgeber, den Anfechtungsschutz für solche Zwischenfinanzierungen (nicht: neue Finanzierungen) auszuschließen, die nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gewährt werden. Art. 17 Abs. 4 ReRL betrifft die Möglichkeit zu regeln, dass neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen gegenüber anderen Verbindlichkeiten vorrangig zu befriedigen sind.

1.2  Einzelheiten
Der europäische Richtliniengeber meint, dass Zwischenfinanzierungen und neue Finanzierungen von Insolvenzanfechtungsklagen ausgenommen werden sollten, die zum Ziel haben, solche Finanzierungen in späteren Insolvenzverfahren als die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlungen für nichtig, anfechtbar oder nicht vollstreckbar zu erklären. Erwägungsgrund 67 Satz 1 hebt hervor, dass neue Finanzierungen und Zwischenfinanzierungen vor Insolvenzanfechtungsklagen geschützt werden sollen. Hier kann man zweifeln, ob dies nach den Erwägungsgründen alle Insolvenzanfechtungsgründe betrifft oder nur solche, deren einzige Voraussetzung eine Gläubigerbenachteiligung ist.

Dabei verfolgt die Richtlinie ein weites Verständnis der zu schützenden finanziellen Beiträge. Erfasst sind sämtliche Unterstützungen, die dem Schuldner unmittelbar oder mittelbar Liquidität verschaffen. Für neue Finanzierungen ist nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 ReRL kennzeichnend, dass sie im Restrukturierungsplan enthalten sind. Zwischenfinanzierungen sind hingegen finanzielle Unterstützungen während der Aussetzung von Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 ReRL). Hier ist keine Erwähnung im Restrukturierungsplan erforderlich. Gerade die Zwischenfinanzierung dient nicht der Umsetzung des Plans, sondern dazu, dem Schuldner ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.05.2021 10:49
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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