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ESG-Pflichten im Verwahrstellengeschäft – quo vadis? (Zahn, WM 2024, 721)

Mit zunehmender Regulierung von ESG(Environmental, Social, Governance)-Themen steigen die Verantwortlichkeiten von Banken und anderen Finanzdienstleistern. Während die entsprechenden regulatorischen Pflichten und Haftungsrisiken für die Banken- und Fondsbranche in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft breit diskutiert werden, ist die Rolle der Verwahrstelle im Hinblick auf ESG-Pflichten ein weithin noch unbeleuchtetes Feld. Ziel dieses Beitrags ist, nach einem Überblick zu den allgemeinen Aufgaben der Verwahrstelle (B.) der Frage spezifisch ESG-bezogener Prüfungspflichten aus regulatorischer Sicht nachzugehen (C.). Anknüpfend hieran erfolgt ein Überblick zu potenziellen Regelungsinhalten und Haftungsfragen im zivilrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen KVG, Verwahrstelle und Anleger im ESG-Bereich (D.).

A. Einleitung
B. Aufgaben der Verwahrstelle allgemein
C. Regulatorische Anforderungen an Verwahrstellen im Hinblick auf ESG-Kontrollpflichten

I. Pflichten der KVG nach Offenlegungs-Verordnung und Taxonomie-Verordnung im Überblick
1. Offenlegungs-Verordnung
2. Taxonomie-Verordnung
II. Regulatorische Prüfungspflichten der Verwahrstelle?
1. Einzelfallprüfungen bei Weisungen
a) Berücksichtigung prozentualer Angaben zur ESG-Konformität
b) Prüfung weiterer Angaben, etwa zur Taxonomie-Konformität und Einschätzung bezüglich Art. 8 oder Art. 9 Offenlegungsverordnung
2. Vorzugswürdiger Ansatz: Vertragliche Konkretisierung der Prüfungstätigkeit der Verwahrstelle
D. Zivilrechtliche Implikationen bei Vereinbarung von ESG-Unterstützungsleistungen
I. Zivilrechtliche Dispositionsbefugnis bezüglich der Prüfpflichten der Verwahrstelle
II. Abgrenzung der Anlagegrenzen von den Anlagegrundsätzen
III. Abschichtung der Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen
IV. Übernahme weiterer ESG-bezogener Dienstleistungen
E. Fazit


A. Einleitung

[1] Mit zunehmender Regulierung von ESG(Environmental, Social, Governance)-Themen steigen die Verantwortlichkeiten von Banken und anderen Finanzdienstleistern. Während die entsprechenden regulatorischen Pflichten und Haftungsrisiken für die Banken- und Fondsbranche in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft breit diskutiert werden, ist die Rolle der Verwahrstelle im Hinblick auf ESG-Pflichten ein weithin noch unbeleuchtetes Feld. So unterliegen u.a. Verwalter von Investmentfonds nach der Offenlegungs-Verordnung unterschiedlichen Pflichten zur Transparenz in vorvertraglichen Informationen, je nachdem, ob ESG-Kriterien eines Finanzprodukts nur „beworben“ (Art. 8 Offenlegungs-Verordnung) oder „angestrebt“ (Art. 9 Offenlegungs-Verordnung) werden. Dies wirft die Frage auf, inwieweit die Verwahrstelle verpflichtet ist, die Einhaltung von ESG-Kriterien des Fonds zu prüfen, etwa im Rahmen der Kontrolle der Anlagegrenzen oder als Teil der Rechtmäßigkeitsprüfung gemäß § 76 Abs. 2 und § 83 Abs. 5 KAGB. Folgefragen sind, wie weit eine ESG-Prüfung reicht und wie diese praktisch auszugestalten ist, beispielsweise ob eine quantitative oder auch qualitative Prüfung des ESG-Anteils erfolgen sollte und inwiefern sich die Verwahrstelle auf Angaben der KVG verlassen darf. Während es bei einer quantitativen Prüfung darauf ankommt, dass Vorgaben, wie groß der ESG-Anteil eines Fonds sein muss, erfüllt werden, steht bei einer qualitativen Prüfung im Vordergrund, dass die Klassifizierung von Vermögensgegenständen als „ESG“ im Einklang mit regulatorischen Vorgaben steht.

[2] Am 31.5.2022 hat die ESMA in einem unverbindlichen Briefing (die „ESMA-Stellungnahme“) eine Prüfungspflicht der Verwahrstelle empfohlen, ohne diese näher zu konkretisieren. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der Pflichtenkatalog für Verwahrstellen zunehmen wird. Dies bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Kapitalverwaltungsgesellschaften („KVG“) und Asset Manager bei der Erfüllung ihrer ESG-Pflichten aktiv zu unterstützen, etwa bei der Aufbereitung von ESG-relevanten Daten und ESG-bezogenen Berichtspflichten.

[3] Ziel dieses Beitrags ist, nach einem Überblick zu den allgemeinen Aufgaben der Verwahrstelle (B.) der Frage spezifisch ESG-bezogener Prüfungspflichten aus regulatorischer Sicht nachzugehen (C.). Anknüpfend hieran erfolgt ein Überblick zu potenziellen Regelungsinhalten und Haftungsfragen im zivilrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen KVG, Verwahrstelle und Anleger im ESG-Bereich (D.).

B. Aufgaben der Verwahrstelle allgemein
[4] Das KAGB sieht vor, dass eine KVG für jeden von ihr verwalteten Investmentfonds vertraglich eine Verwahrstelle zu bestellen hat. Diese in § 68 Abs. 1 KAGB (Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren – „OGAW“) sowie § 80 Abs. 1 KAGB (alternative Investmentfonds – „AIF“) geregelte Verpflichtung setzt entsprechende europäische Vorgaben in Art. 22 der OGAW-Richtlinie sowie Art. 21 der AIFM-Richtlinie um mit dem Ziel, die Verwahrung des Investmentvermögens einer von der KVG unabhängigen Kontrollinstanz anzuvertrauen.

[5] Traditionelle Kernaufgabe der Verwahrstelle ist die Verwahrung der zum Investmentvermögen gehörenden Vermögensgegenstände, die Ausübung einer Zustimmungspflicht bei bestimmten Geschäften sowie umfangreiche Kontrolltätigkeiten in Bezug auf den Wert des Investmentvermögens und die Verwendung der Mittel im Rahmen der Tätigkeit der KVG. Bei Vermögensgegenständen, die nicht verwahrfähig sind – beispielsweise Immobilien – bestehen Prüfungspflichten im Hinblick auf die Eigentumsverhältnisse, Rechte Dritter sowie Zustimmungspflichten zu bestimmten Geschäften. Einzelheiten sind im Rundschreiben 05/2020 (WA) der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) (sog. „Verwahrstellenrundschreiben“) erläutert, welches als zentrales Dokument die Aufgaben und aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Verwahrstellen in Deutschland zusammenfasst.

[6] In regulatorischer Hinsicht müssen Verwahrstellen als Kreditinstitut (§ 68 Abs. 2, § 80 Abs. 2 Nr. 1 KAGB) oder – sofern die Tätigkeit nur für AIF ausgeübt wird – Wertpapierfirma (§ 80 Abs. 2 Nr. 2 KAGB) zugelassen sein. In der Praxis wird die Funktion der Verwahrstelle in der Regel von spezialisierten Abteilungen globaler Bankkonzerne ausgeübt, die als sogenannte „Global Custodians“ neben Abwicklung und Verwahrung auch eine Vielzahl anderer Dienstleistungen in verschiedenen Märkten anbieten.

C.  Regulatorische Anforderungen an Verwahrstellen im Hinblick auf ESG-Kontrollpflichten
[7] Die Transparenzanforderungen der Offenlegungs-Verordnung und die damit verbundenen Anforderungen nach der Taxonomie-Verordnung zur Bestimmung der Kriterien, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, gelten unter anderem für „Finanzmarktteilnehmer“ (Art. 1 i.V.m. Art. 2 Nr. 1 Offenlegungs-Verordnung; Art. 1 Abs. 2b) Taxonomie-Verordnung) und verpflichten damit unmittelbar Verwalter von Investmentfonds, nicht aber die zugehörigen Verwahrstellen. Dies ist damit zu erklären, dass die Verwahrstelle selbst keine Investmentfonds auflegt, vertreibt und verwaltet, sondern in Bezug auf diese Tätigkeiten der KVG eine Kontrollfunktion ausübt. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Verwahrstelle durch Offenlegungs- und Taxonomie-Verordnung „mittelbar“ aufsichtsrechtlich verpflichtet wird, indem sie die Einhaltung der entsprechenden Anforderungen seitens der KVG zu prüfen hat. Um dies herauszuarbeiten (nachfolgend II.), erfolgt zunächst ein Überblick über die ESG-bezogenen Pflichten der KVG (nachfolgend I.).

I. Pflichten der KVG nach Offenlegungs-Verordnung und Taxonomie-Verordnung im Überblick

1. Offenlegungs-Verordnung

[8] Ziel der grundsätzlich seit 10.3.2021 anwendbaren Offenlegungs-Verordnung ist es, dem Anleger durch europaweit einheitliche Transparenzvorgaben bei Nachhaltigkeitsaspekten und -risiken eine informierte Investitionsentscheidung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck schreibt die Offenlegungs-Verordnung in Art. 6, 8 und 9 ein abgestuftes System der Transparenz in vorvertraglichen Informationen vor: Der grundsätzlich für alle Fonds geltende Art. 6 der Offenlegungs-Verordnung sieht zunächst vor, dass in vorvertraglichen Informationen die Art und Weise erläutert wird, wie Nachhaltigkeitsrisiken in die Investitionsentscheidung einbezogen werden und welche Auswirkungen sie auf die Rendite erwarten lassen. Sofern Nachhaltigkeitsrisiken keine Rolle spielen, ist dies ebenfalls darzulegen und zu begründen. Werden darüber hinaus ökologische oder soziale Merkmale oder eine Kombination aus beiden beworben, müssen nach Art. 8 Offenlegungs-Verordnung Angaben enthalten sein, wie...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.04.2024 10:24
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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